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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
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Körper trug. Und ich konnte ganz sicher nicht mein letztes Gehalt abholen.
    Der Wind drehte und brachte den Geruch von Wüstensalbei mit sich. Also regnete es irgendwo ganz in der Nähe. Ich schaute hoch und entdeckte die unheimlichen, grauen Formen der Gewitterwolken, die sich über den Bergen am Horizont auftürmten. Ich schaute nach unten und bemerkte, dass ich noch immer meine Schürze trug. Ich griff in die Tasche und fand einen zerknitterten Geldschein und den Zettel, den Bain mir gegeben hatte.
    »Wir möchten dir einen Vorschlag machen«, hatte er gesagt.
100000
 
$. In bar
, stand auf dem Zettel. Es knallte, der Donner grollte. Das Gewitter kam näher.
     
    Als ich zu einer nahen Tankstelle lief und von dort aus anrief, stellte er keine Fragen, sondern sagte nur, ich solle einfach an der Kreuzung warten, er käme so schnell wie möglich. Von den zehn Dollar, die ich gestohlen und in meiner Schürzentasche versteckt hatte, kaufte ich für drei Dollar einen Eistee, dann ging ich zurück und setzte mich neben die Straße, während die Gewitterwolken herankrochen. Eigentlich hätte mein Gehirn auf Hochtouren laufen müssen, doch stattdessen war es einfach nur … leer. Meine Augen konzentrierten sich auf den silbrig-weißen Kokon einer Motte oder eines Schmetterlings, der neben dem Felsblock lag, auf dem ich saß. Anscheinend war ich nicht die Einzige, die an dieser Straßenkreuzung einen Neuanfang wagte.
    Fünfundvierzig Minuten später näherte sich ein silberner Porsche Carrera in einer Staubwolke und blieb wie ein perfekt dressierter Panther vor mir stehen. Bain ließ das Fenster herunter und lächelte. »Bereit für die Fahrt deines Lebens?«
    Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte, es sei alles zu einfach, zu glatt. Meine Hand ruhte einen Moment lang zögernd auf dem Türgriff. Wenn ich mich auf dies hier einließ, was immer es sein mochte, gäbe es kein Zurück. Keinen Fluchtweg.
    Du kannst weiterlaufen
, sagte die Stimme.
Es gibt keinen Grund, jetzt stehen zu bleiben. Dreh dich um und lauf weg.
    Ich öffnete die Tür und ließ mich auf den Sitz fallen. »Ich bin bereit.«
    Damals dachte ich, es wäre die Wahrheit.
    Er wendete scharf und fuhr nach Westen, immer auf die Wolken zu.

4. Kapitel
    I ch sah zu, wie die Regentropfen am Autofenster herunterliefen und sich Wege durch den Staub bahnten. Es war ein faszinierender Anblick – einer machte den Anfang, und die übrigen folgten ihm, wichen vielleicht ein wenig vom Weg ab und machten ihn breiter, hielten sich aber im Allgemeinen an die Richtung, falls nicht eine andere Kraft wie der Wind plötzlich auf sie einwirkte. Man sollte sie ab und an beobachten; es ist auffällig, wie sehr sie zögern, sich ihren eigenen Weg zu suchen. Und wenn schon Regentropfen diese Eigenschaft aufweisen – Regentropfen, die in ihrem kurzen Leben nichts zu verlieren haben –, überrascht es kaum, dass auch Menschen den Wegen folgen, die andere für sie vorgezeichnet haben, selbst wenn sie nichts Gutes verheißen.
    Ich wusste, dass vor allem die Oberflächenspannung sie an Ort und Stelle hielt. Sie verharrten so wegen der Bindekraft ihrer Moleküle und weil sie von der Oberfläche, dem Oberflächlichen angezogen wurden.
    Bain fragte: »Musst du noch etwas in der Van Cortland Street abholen?«
    »Du weißt, wo ich wohne? Bist du mir gefolgt?«
    »Das nennt sich angemessene Sorgfalt. Ich wollte sichergehen, dass du geeignet bist.«
    Beim Wort
geeignet
überlief mich ein kalter Schauer. »Und was hast du herausgefunden?«
    »Dass du seit einem Monat dort wohnst, in dem dich niemand besucht hat. Du hast der Vermieterin erzählt, du seist eine Waise und hättest kein Handy. Außerdem bist du nie dort angerufen worden.«
    Ich starrte ihn einige Atemzüge lang an, bis sich das unheimliche Gefühl gelegt hatte. Dann sagte ich: »Nein, ich muss nichts holen.«
    Er wechselte die Spur und bog in die Auffahrt zum Highway. Das Klicken des Blinkers war das einzige Geräusch im Auto. Nachdem er sich in den Verkehr eingefädelt hatte, fuhren wir schweigend nach Norden. Nach kurzer Zeit schaute er mich an. »Wie lange bist du schon allein?«
    Ich hielt inne und überlegte, welche Geschichte ich aus dem Köcher ziehen und auf ihn abschießen sollte. »Als ich zehn war, hat mich meine Mutter zu einer Greyhound-Busstation gebracht und gesagt, ich solle dort warten, während sie Lakritzstangen kauft. Sie ist nicht zurückgekommen.« Das war nicht die ganze Geschichte, aber sie stimmte.
    Ich
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