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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
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verschwommen oder sogar ins Gegenteil verkehrt gewesen. Meine Träume waren banal – Nina und ich saßen in einem kleinen Einkaufszentrum und aßen so viel Pizza, wie wir konnten, und tranken dazu Cola light aus kalten, beschlagenen Dosen, oder ich erwachte in einem luftigen Zimmer mit einer nett geblümten Tapete und einem Bett mit frischen Laken –, während meine Wirklichkeit von grimmigen Gesichtern erfüllt war, die mich beschimpften, und von Drohungen, die im Schatten lauerten. Als ich mich nun in einem gewaltigen, schmiedeeisernen Bett mit frischer, weißer Wäsche und einer dicken Daunendecke wiederfand, war ich mir nicht sicher, ob ich noch träumte oder schon wach war.
    Am Vorabend hatte ich das Zimmer kaum zur Kenntnis genommen, nur dass es ein Bett und ein Badezimmer gab. Jetzt hatte ich Gelegenheit, mich umzusehen. Licht fiel durch eine komplett verglaste Wand herein, und ich kam mir vor wie in einer Pariser Mansardenwohnung. Es gab ein kleines Sofa, einen Stuhl mit hellvioletten und blau-weiß karierten Kissen und einen kleinen Tisch.
    Ich stieg aus dem Bett und ging umher, fuhr mit den Fingern über die edlen Stoffe – weicher Samt, geschmeidige Seide und flauschige Wolle. Ich war an synthetische Bettdecken gewöhnt, deren schrille Sonnenblumenmuster Brandlöcher und peinliche Flecken verbargen.
    Ich ging ins Badezimmer und spürte, wie ein sprudelndes Lachen in mir aufstieg.
    Es war prachtvoll. Zweieinhalb Stunden Putzzeit, mindestens. Es gab Stapel von blütenweißen, bauschigen Handtüchern, die nach Lavendel dufteten, eine gewaltige, weiß geflieste Dampfdusche, und von der Decke hing ein riesiger Leuchter aus Kristall und Eisen. Am schönsten aber war die Badewanne mit den Löwenfüßen. Sie stand frei vor einem Bogenfenster, durch das man den Garten und einen Swimmingpool und ein weiteres riesiges Haus sah, denn ich befand mich hier natürlich nur im Gästehaus.
    Ich stieg in die leere Wanne, lehnte die Wange an das kühle Porzellan und umarmte mich selbst, um zu prüfen, ob ich wirklich wach war. Ich konnte es einfach nicht glauben. Es war perfekt, ein Märchen, mit dem man den klaffenden Abgrund der Leere und Sehnsucht vertreiben konnte, der mich noch am Vorabend zu verschlingen gedroht hatte. Es war unmöglich, sich inmitten dieser Schönheit nicht glücklich und sicher und zufrieden zu fühlen.
    Ich zog das T-Shirt aus, in dem ich geschlafen hatte, und ließ mir Badewasser ein. Auf einem Tisch neben der Wanne standen drei Sorten Badesalz, und ich wählte eins, das nach Grapefruit duftete. Das Wasser in der Wanne stieg an und wusch den Schmutz von gestern weg, wobei es mir vorkam, als handelte es sich um den Schmutz eines ganzen Jahres.
    Ich wusch mir die Haare mit einem Shampoo, das nach Rosmarin und Minze duftete; benutzte einen Conditioner, in dem angeblich die Kraft roter Orchideen steckte und der wie ein Strauß wilder Blumen roch; dann rasierte ich mir so sorgfältig wie lange nicht mehr Arme, Beine und Bikinizone. Zum Schluss rieb ich mich mit einer Limonen-Basilikum-Lotion ein und fühlte mich rein. Ganz und gar rein.
    Das war wohl einer der Vorteile, wenn man reich war: die Gewissheit, dass man alles, was man getan hatte, mit einer duftenden Seife abwaschen konnte. Wenn ich mein Geld bekäme, würde ich mir als Erstes Pflegeprodukte kaufen.
    Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, stieg aus der Küche der köstliche Duft von Speck empor, als wollte er mich zur Eile drängen. Mir knurrte der Magen. In einer Schublade fand ich ein Tank Top und eine Leggings, in einer anderen einen langen, grauen Kaschmirpullover mit Zopfmuster. Ich zog alles an, und als ich die edlen Stoffe auf meiner glatten, sauberen Haut spürte, wurde ich mir meines Körpers auf eine ganz neue Weise bewusst. Ich fühlte mich verwöhnt und beinahe nackt zugleich. Es war himmlisch.
    Aber noch während ich die sinnliche Weichheit genoss, überlief mich ein Schauer. Mir wurde klar, dass ich eine entscheidende Frage stellen musste.
    Ich hatte etwas übersehen, obwohl es eigentlich mein erster Gedanke hätte sein müssen: Was um alles in der Welt war mit Aurora geschehen, dass sie auf all das hier verzichtet hatte?

9. Kapitel
    L aut Bain gab es darauf eine einfache und eine kompliziertere Antwort. Aurora war an dem Abend weggelaufen, an dem ihre beste Freundin Elizabeth »Liza« Lawson gestorben war. Liza hatte Selbstmord begangen, indem sie von der Spitze des Three-Lovers-Points in die darunterliegende dunkle
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