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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
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Sonderzahlungen, keine Frage nach meinem Alter oder meinem Ausweis oder weshalb ich nicht zur Schule ging. 7 , 25  Dollar die Stunde plus Trinkgeld. Allerdings gab es nur selten Trinkgeld, obwohl ich meine Tage in Häusern mit Marmorböden und eingebauten Tresoren, dekorativen Schalen, in denen Fernbedienungen aufbewahrt wurden, und Regalen voller nie gelesener Bücher verbrachte.
    Nina war von den Fischen fasziniert, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie in der Waschküche bleiben musste. Aber sie durfte eigentlich nicht hier sein, auch wenn die Dockwoods nicht zu Hause waren. Es gab Überwachungskameras, und ich konnte nicht riskieren, dass man sie entdeckte. »Du meinst, was wäre, wenn wir im Aquarium wären und sie uns beobachteten?«, fragte ich.
    »Genau!«, quiekte sie.
    »Woher weißt du, dass es nicht so ist?«
    Ich wusste, die Frage würde sie eine Weile beschäftigen. Sie dachte gern über Sachen nach, überlegte sich konkrete Antworten und regte sich ziemlich auf, weil es mir nichts ausmachte und ich es manchmal sogar vorzog, etwas nicht zu wissen. Ich polierte gerade im Hauptschlafzimmer die Griffe der Frisiertische – einer für ihn, einer für sie –, als ich Ninas Schritte hinter mir hörte.
    »Ich hab es herausgefunden«, sagte sie und klang so aufgeregt, dass ich sie einfach nicht ausschimpfen konnte. »Wenn wir in dem Aquarium wären, müssten wir uns keine Gedanken machen, was es zum Abendessen gibt. Wir wären nie hungrig. Also sind wir nicht im Aquarium.«
    »Stimmt«, sagte ich, und das Poliertuch in meiner Hand begann zu zittern. Ich hielt den Kopf gesenkt und bewegte es in geschmeidigen Kreisen, damit sie nicht bemerkte, dass ich mit den Tränen kämpfte. »Das sind wir nicht.« Ich bemühte mich sehr, aber es reichte nicht. Ich holte tief Luft, zwang ein Lächeln auf mein Gesicht und schaute sie im Spiegel an.
    Ich erstarrte.
    Aus ihrer Nase lief ein Blutrinnsal. »Liebes«, sagte ich und wischte es ab, doch es blutete weiter. »Was ist passiert?«
    »Was?« Sie schaute mich verständnislos an. Dann entdeckte sie das Blut. »Keine Ahnung. Hat gerade angefangen.«
    »Ist das schon mal passiert?«
    Sie wandte sich ab. »Nein.«
    »Wie oft?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Als wir noch bei Mrs Cleary waren, vielleicht ein- oder zweimal pro Woche.«
    »Und jetzt?«
    Unsere Blicke trafen sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Meistens vielleicht jeden Tag.« Sie fing an zu weinen. »Ich hab solche Angst.«
    Ich kniete mich hin und umarmte sie, und in diesem Augenblick kam Mrs Dockwood herein und sah uns und die beiden Flecken, die wie blutrote Blumen am Rand ihres weißen, handgewebten Teppichs erblühten.
    »Sie hat nicht nur ein Mädchen bei sich, es ist ein
krankes
Mädchen«,
schrie sie ins Telefon, als sie meinen Chef in der Leitung hatte. »Das ist absolut inakzeptabel. So jemanden in mein Haus zu bringen. Der Teppich ist ruiniert.
Ruiniert
«, stöhnte Mrs Dockwood. »Wir werden das ganze Ding ersetzen müssen, das wird ein Vermögen kosten. Ich hoffe, Sie sind gut versichert.«
    Ich starrte auf den Boden und drückte Ninas Hand, um ihr Mut zu machen.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte sie zu Mrs Dockwood, die, das muss ich zu ihrer Verteidigung sagen, lächelte. »Es ist nicht deine Schuld, Kleines.« Ihre Augen wanderten zu mir. »Es ist Ihre. Was soll das? Das hier ist keine Kindertagesstätte.«
    »Es tut mir leid«, sagte ich zu Mrs Dockwood.
    »Es tut mir leid«, sagte ich zu meinem Chef, als er mich feuerte.
    »Es tut mir leid«, flüsterte ich Nina ins Ohr, als sie in der Notaufnahme schlafend in meinem Arm lag, während wir warteten, dass jemand kam.
    Und als jemand gekommen war …
    Ich schüttelte die Erinnerung ab und merkte, dass ich den silbernen Bilderrahmen so fest umklammert hielt, dass sich die Kanten in meine Handflächen bohrten.
    Ich stellte ihn vorsichtig zurück an die Stelle, an der er vorher gestanden hatte, als wäre ich nicht Gast in diesem Haus, sondern die Putzfrau. Ich warf einen Blick zu Bain und Bridgette, die jetzt nebeneinander am Geländer lehnten, hob den lackierten Deckel der Klaviertastatur und fuhr mit den Fingern leicht über die kühlen Tasten.
    »Spielst du?« Bridgettes Stimme ließ mich zusammenzucken. Der Deckel fiel mit einem lauten Knall zu, als ich von dem Instrument zurückwich.
    Ich hatte sie nicht kommen gehört – beide nicht –, doch nun stand sie auf einmal direkt neben mir. »Ein bisschen. Eine meiner
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