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Geisterbahn

Geisterbahn

Titel: Geisterbahn
Autoren: Dean R. Koontz
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Lizenz in der Hand in einer Kirche geschlossen worden.
    Nachdem Ellen zu Mrs. Conrad Straker geworden war, war sie überzeugt gewesen, daß nur gute Zeiten vor ihr lagen. Sie irrte sich.
    Als sie mit Conrad durchgebrannt war, kannte sie ihn erst seit zwei Wochen. Zuspät fand sie heraus, daß sie ihn lediglich von der besten Seite gesehen hatte. Nach der Hochzeit mußte sie herausfinden, daß er launenhaft und das Leben mit ihm nicht einfach war. Er neigte zu Gewalttätigkeiten. Manchmal war er so freundlich und charmant wie in der Zeit, als er ihr den Hof gemacht hatte. Aber er konnte mit der unerwarteten, unerklärlichen Plötzlichkeit eines wilden Tiers bösartig werden. Während des vergangenen Jahres hatten ihn mit zunehmender Häufigkeit dunkle Stimmungen ergriffen. Er wurde sarkastisch, pedantisch, gemein, streng und zögerte nicht, Ellen zu schlagen, wenn sie ihm nicht gehorchte. Es gefiel ihm sogar, sie zu schlagen, zu stoßen und zu kneifen. Am Anfang ihrer Ehe, bevor sie schwanger wurde, hatte er sie zweimal mit der Faust in den Magen geschlagen. Als sie dann ihr Kind austrug, hatte Conrad seinen Hang zur Brutalität ein wenig bezähmt. Aber wirklich nur ein wenig.
    Im dritten Monat ihrer Schwangerschaft war Ellen so verzweifelt, daß sie fast nach Hause zu ihren Eltern zurückgekehrt wäre. Fast. Aber wenn sie an die Erniedrigung dachte, die sie dort würde ertragen müssen, wenn sie sich vorstellte, Gina um eine letzte Chance zu bitten, wenn sie an die selbstgefällige Selbstgerechtigkeit dachte, mit der ihre Mutter sie begrüßen würde, war sie nicht imstande, Straker zu verlassen.
    Und sie konnte nirgendwo sonst hin.
    Als ihr Bauch immer dicker wurde, redete sie sich ein, ein Baby würde dazu beitragen, daß Conrad ruhiger wurde. Er mochte Kinder wirklich; sie merkte es daran, wie er auf dem Jahrmarkt anderer Leute Kinder behandelte. Die Aussicht, Vater zu werden, schien ihn zu entzücken. Die Geburt des Babys, so hoffte sie, würde Conrad weicher machen, ihn reifen lassen und seine Laune heben.
    Als sie vor sechs Wochen das Baby zur Welt gebracht hatte, wurde diese zerbrechliche Hoffnung zertrümmert.
    Ellen war nicht ins Krankenhaus gegangen. Das war unter Jahrmarktsleuten nicht üblich. Sie gebar das Baby zu Hause, im Wohnwagen, mit Hilfe einer Hebamme vom Jahrmarkt. Die Entbindung war relativ einfach verlaufen.
    Da waren keine kritischen Situationen. Es gab keine Komplikationen. Außer ...
    Das Baby.
    Sie erschauerte vor Ekel, sobald sie an das Baby dachte, und griff erneut nach ihrem Whiskey.
    Als spürte das Kind ihre Gedanken, fing es wieder an zu brüllen.
    »Sei still!« rief sie und drückte die Hände auf die Ohren.
    »Sei still, sei still!«
    Es wurde aber nicht still.
    Die Korbwiege zitterte, schaukelte, knarrte, als das Kleinkind sich vor Zorn wand und um sich trat.
    Ellen kippte den letzten Bourbon in ihrem Glas runter, leckte sich nervös die Lippen und spürte endlich, wie die Kraft des Whiskeys wieder in sie strömte. Sie glitt von der Sitzbank. Schwankend stand sie in der winzigen Küche.
    Die dissonante Musik des aufkommenden Sturms brach lauter denn je über ihr zusammen, nun direkt über dem Kirmesgelände, und schwoll zu einem wütenden Crescendo an.
    Ellen torkelte durch den Wohnwagen und blieb am Fuß  der Korbwiege stehen. Sie schaltete eine Lampe ein, die ein weiches, bernsteinfarbenes Licht warf, und die Schatten krochen davon und kauerten sich in den Ecken zusammen.
    Das Kind hörte auf damit, sich mit seinen Decken herumzuschlagen. Es schaute zur Mutter auf, und in seinen Augen leuchtete der Haß.
    Ihr wurde schlecht.
    Töte es! sagte sie sich.
    Aber das boshafte Starren des Kindes hatte eine hypnotische Kraft. Ellen konnte den Blick nicht von seinen medusenhaften Augen wenden; sie konnte sich nicht bewegen; sie kam sich vor, als wäre sie zu Stein verwandelt worden.
    Ein Blitz drückte sein helles Antlitz wieder an das Fenster, und bei dem nachfolgenden Donnergrollen fielen die ersten fetten Regentropfen.
    Sie starrte ihr Kind entsetzt an, und kalte Schweißperlen traten unter ihrem Haaransatz hervor. Das Baby war nicht normal; es war nicht mal annähernd normal; aber es gab keinen medizinischen Ausdruck für seine Verunstaltung.
    Eigentlich konnte man es noch nicht mal guten Gewissens als Kind bezeichnen. Es war kein Baby. Ja, Ellen dachte oft, daß es einer Spezies angehörte, die mit der Menschheit nichts zu tun hatte.
    Es war schrecklich.
    »O Gott«, sagte Ellen
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