Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geisterbahn

Geisterbahn

Titel: Geisterbahn
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
mit zitternder Stimme. »Lieber Gott, warum ich? Was habe ich getan, daß ich das verdient habe?«
    Die großen, grünen, unmenschlichen Augen ihres Nachkommens betrachteten sie giftig.
    Ellen wollte sich von dem Kind abwenden. Sie wollte aus dem Wohnwagen laufen, in den prasselnden Sturm, in die unermeßliche Dunkelheit, raus aus diesem Alptraum und in eine neue Dämmerung.
    Die verbogenen, aufgeblähten Nasenflügel des Geschöpfs zitterten wie die eines Wolfes oder Hundes, und sie hörte sein eifriges Schnüffeln, mit dem es ihren Geruch von den anderen im Wohnwagen unterschied.
    Töte es!
    In der Bibel stand geschrieben: Du sollst nicht töten.
    Mord war eine Sünde. Wenn sie das Baby erwürgte, würde sie in der Hölle schmoren. Eine Reihe grausamer Bilder flackerte durch ihren Geist, Visionen einer Hölle, die Gina ihr an Tausenden von Leseabenden ausgemalt hatte: Grinsende Dämonen rissen bluttriefende Fleischbrocken aus lebenden, schreienden Frauen, und ihre lederartigen schwarzen Lippen glänzten vor Menschenblut; weißglü hendes Feuer versengte die Körper von Sündern; bleiche Würmer nagten an Toten, die noch bei Bewußtsein waren; gequälte Menschen wanden sich unter großen Schmerzen in Hügeln aus unbeschreiblich entsetzlichem Schmutz.
    Das waren die schrecklichen Konsequenzen der Sünde.
    Ellen war keine praktizierende Katholikin, aber das hieß  nicht, daß sie auch in ihrem Herzen keine Katholikin mehr war. Jahre der täglichen Messe und des nächtlichen Gebets, neunzehn endlose Jahre mit Ginas verrückten Predigten und strengen Ermahnungen konnten nicht einfach so abgeschüttelt und vergessen werden. Ellen glaubte noch immer aus vollem Herzen an Gott und Himmel und Hölle. Die Warnungen der Bibel hatten weiterhin Wert und Bedeutung für sie. Du sollst nicht töten.
    Aber dieses Gebot, so rechtete sie mit sich selbst, traf doch ganz bestimmt nicht auf Tiere zu. Tiere durfte man töten; das galt nicht als Todsünde. Und dieses Wesen in der Korbwiege war nur ein Tier, ein Ungeheuer, ein Monstrum. Es war kein menschliches Wesen. Wenn sie es vernichtete, würde diese zerstörerische Tat daher auch nicht das Schicksal ihrer unsterblichen Seele besiegeln.
    Andererseits ... wie konnte sie sicher sein, daß es kein Mensch war? Es war von Menschen gezeugt. Es konnte kein grundlegenderes Kriterium für Menschlichkeit als dieses geben. Das Kind war ein Mutant, aber es war ein menschlicher Mutant.
    Ihr Dilemma schien unlösbar zu sein.
    In der Korbwiege hob das kleine, dunkelhäutige Geschöpf eine Hand und griff nach Ellen. Eigentlich war es gar keine Hand. Es war eine Klaue. Die langen, knochigen Finger waren viel zu lang für die eines sechs Wochen alten Kleinkinds, auch wenn dieses Baby für sein Alter groß war; wie die Pfoten eines Tiers waren die Hände dieses kleinen Ungeheuers im Verhältnis zum restlichen Körper übermäßig groß. Ein spärlicher schwarzer Pelz bedeckte die Handrücken und wuchs an den Handgelenken dichter zusammen. Bernsteinfarbenes Licht funkelte auf den scharfen Rändern der spitz zulaufenden Fingernä gel. Das Kind holte immer wieder aus, kam aber nicht an Ellen heran.
    Sie begriff einfach nicht, wie solch ein Ding aus ihr hervorgegangen sein konnte. Warum existierte es überhaupt?
    Sie wußte, daß es so etwas wie Freaks gab, Mißgebildete.
    Einige davon arbeiteten in einer Bude, einer sogenannten Nebenattraktion, auf diesem Rummel. Bizarr aussehende Leute. Aber nicht vergleichbar mit diesem Kind. Keiner von ihnen war auch nur halb so unheimlich wie dieses Geschöpf, das sie in ihrem Mutterleib genährt hatte.
    Warum war das geschehen? Warum?
    Es wäre ein Gnadenakt, das Kind zu töten. Schließlich würde es niemals ein normales Leben genießen können. Es würde immer ein Freak sein, eine Zielscheibe des Spotts und der Schande. Seine Tage würden karg, verbittert und einsam sein. Selbst die langweiligsten und alltäglichsten Vergnügungen würden ihm versagt bleiben, und es würde keine Chance erhalten, jemals glücklich zu werden.
    Aber da war noch etwas. Wenn sie gezwungen war, sich ihr Leben lang um dieses Geschöpf zu kümmern, würde auch sie kein Glück finden können. Die Aussicht, dieses groteske Kind aufziehen zu müssen, erfüllte sie mit Verzweiflung. Es zu töten wäre ein Gnadenakt sowohl für sie selbst als auch für den angsteinflößenden Mutanten, der sie jetzt aus der Korbwiege anstarrte.
    Aber die römisch-katholische Kirche billigte die aktive
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher