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Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)

Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)

Titel: Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Autoren: Guido Knopp
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von ihnen tanzten dem »Stellvertreter des Führers« öffentlich auf der Nase herum, wussten sie sich doch in ihrem oft zweifelhaften Gebaren von Hitler gedeckt. In diesen Fällen fehlten Heß die Instrumente, um seinen Machtanspruch durchzusetzen – erstes Anzeichen einer Ohnmacht, die schließlich zu seinem Abstieg beitrug.

    Zu den Aufgaben von Heß gehörte die Vereidigung von »Politischen Leitern« der NSDAP auf den »Führer«, wie hier auf dem Münchner Königsplatz am 20. April 1936.
    Ullstein Bild, Berlin (Heinrich Hoffmann)

    »Gralshüter des Führer-Kults«: Rudolf Heß verliest seine Weihnachtsansprache im Reichsrundfunk, Dezember 1937.
    Ullstein Bild, Berlin (Heinrich Hoffmann)
    In der Öffentlichkeit galt Heß als der Saubermann an Hitlers Seite. Integer, bescheiden, anständig – das gute Gewissen der Partei. Seine Akzeptanz in der Bevölkerung überraschte selbst die Verantwortlichen aus dem Propagandaministerium. Obwohl es in der Diktatur keine demoskopischen Untersuchungen über die Beliebtheit von Politikern gab, galt er gemeinsam mit dem volksnahen Göring lange als populärster Nazi – hinter Hitler, versteht sich. Heß’ Wirkung auf die Massen war enorm. Seine andächtigen Weihnachtsansprachen im Reichsrundfunk, die von ihm zelebrierten rituellen Massenvereidigungen auf Hitler bei Fackelschein und Trommelklängen, die mit Inbrunst vorgetragenen Parteitagsreden – damit hatte er einen großen Anteil an der verhängnisvollen Massensuggestion. Die ungeheure Inbrunst, mit der er solche pseudosakralen Weihestunden abhielt, war nicht gespielt. Sein eigener Glaube machte den Gralshüter des »Führer«-Kults so glaubwürdig.
    Einer bleibt von aller Kritik stets ausgeschlossen – das ist der Führer. Das kommt daher, dass jeder fühlt und weiß: Er hatte immer recht, und er wird immer recht haben. In der kritiklosen Treue, in der Hingabe an den Führer, die nach dem Warum im Einzelfalle nicht fragt, in der stillschweigenden Ausführung seiner Befehle liegt unser aller Nationalsozialismus verankert.
    Rudolf Heß, Rede vom 25. Juni 1934
    Selbst wenn er nicht wie Himmler oder Heydrich zu den Drahtziehern des Terrors gehörte, so war er doch ebenso radikal und gewaltbereit wie die anderen Paladine. Nach den »Röhm-Putsch«-Morden vom Juni 1934 stimmte er in den Chor der Rechtfertiger ein und versuchte, die kaltblütige Liquidierung von mehr als 200 Menschen als »Staatsnotwehr« schönzureden. Auch am Terror per Gesetz gegen die Juden in Deutschland war er beteiligt. Die Nürnberger »Rassegesetze« von 1935 trugen ebenso seine Unterschrift wie die Verordnungen über das Berufsverbot für jüdische Anwälte und Ärzte. In zahlreichen Reden und Verlautbarungen verstieg er sich zu wüsten Ausfällen gegen die »Pest des jüdischen Bolschewismus« und prophezeite bereits auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 den »Untergang des jüdischen Volkes«.
    Wie manch anderer im innersten Führungszirkel der NSDAP hegte er freilich persönlich ein durchaus ambivalentes Verhältnis zum Judentum. Drei Tage nach der Verkündung der Nürnberger Gesetze meldete er sich bei seinem alten Lehrer Haushofer und versicherte, dass dessen Familie nichts zu befürchten habe. Haushofers Frau galt nach den »Rassegesetzen« als »Halbjüdin«. Noch im November 1938, nach dem als »Reichskristallnacht« verharmlosten Judenpogrom, stellte er den Haushofers einen Schutzbrief aus: Frau Haushofer sei »keine Jüdin im Sinn der Nürnberger Gesetze«, er verbiete jegliche Behelligung. Auch Haushofer-Sohn Albrecht, promovierter Geograf wie sein Vater und nach den NS -Rassetafeln »Mischling zweiten Grades«, wurde von ihm protegiert und konnte seine Karriere als Wissenschaftler und Diplomat ungestört fortsetzen. Für Heß sollte er noch eine wichtige Rolle spielen.

    Heß besucht im Mai 1936 gemeinsam mit dem »Reichsführer-SS«
Heinrich Himmler das KZ Dachau.
    Bundesarchiv, Koblenz (Bild-152-08-35/Friedrich Franz Bauer)
    Rudolf Heß verließ Deutschland vor dem Beginn des planmäßigen Massenmords an den Juden. Hätte er den Holocaust genauso mitgetragen wie die staatliche Entrechtung der deutschen Juden vor dem Krieg? Im Gerichtssaal von Nürnberg erstarrte er bei der Vorführung eines Films über die Vernichtungslager. Er schien nicht glauben zu können, welch mörderische Konsequenzen die »Endlösung der Judenfrage« gehabt hatte. Für ihn gab es nur eine Lösung: Die Aufnahmen mussten Fälschungen sein.
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