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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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nicht näher herantrauten.
    »Ihr müsst mit José-Maria sprechen«, sagte er.
    »Wer ist das?«, fragte Sofia.
    »Der Pfarrer«, antwortete Lino erstaunt. »Und ihr müsst mit Philomena sprechen, der Lehrerin.«
    Er begleitete sie zu dem einen Ende des langen Schulgebäudes. Dort war ein kleines Büro. »Was machen wir jetzt?«, fragte Sofia. »Wisst ihr denn gar nichts?«, sagte Lino. »Ihr klopft an die Tür und tretet ein, wenn euch jemand auffordert.« Dann lief er davon. Die Jungen spielten Fußball mit einem Ball, der aus fest zusammengepressten Grashalmen gemacht war.
    »Wir gehen nach Hause«, sagte Maria. »Das tun wir auf keinen Fall«, sagte Sofia. Dann klopfte sie an die Tür.
    Niemand rief. Sie klopfte noch einmal. Da wurde die Tür geöffnet. Der weiße Mann, der sie früher schon mit seinem traurigen Lächeln angesehen hatte, stand in der Türöffnung. Sein Gesicht war schweißbedeckt und die Brille hatte er auf die Stirn geschoben. »Wir möchten in die Schule gehen«, sagte Sofia. Der weiße Mann schob die Brille auf die Nase. »Ich erinnere mich an euch«, sagte er. »Seltsam, wie ähnlich ihr euch seht. Seid ihr Zwillinge?«
    »Ich bin Sofia«, sagte Sofia. »Maria ist Maria. Zwischen uns ist ein Jahr. Maria ist die Älteste.«
    »Wie heißt ihr weiter?«
    »Alface.« (Alface heißt Salat.)
    Der weiße Mann betrachtete sie erstaunt. Dann brach er in Gelächter aus. »Das ist ein guter Name«, sagte er.
    »Sofia und Maria Alface. Seid ihr schon mal in eine Schule gegangen?«
    Sie schüttelten die Köpfe.
    »Dann kommt ihr in Philomenas Klasse. Ich bringe euch hin.«
    Sie gingen zu dem Klassenzimmer ganz am Ende des Gebäudes. Der Unterricht hatte gerade begonnen. Die Lehrerin, die Philomena hieß, war jung. Außerdem war sie schwarz.
    »Noch zwei Schüler«, sagte José-Maria. »Sofia und Maria. Wie viele hast du jetzt?«
    »Als ich das letzte Mal gezählt habe, waren es zweiundneunzig«, sagte Philomena. »Wenn vier auf einer Bank sitzen, geht es.«
    José-Maria schüttelte den Kopf. »Wir müssen eine größere Schule bauen«, sagte er. »Aber woher kriegen wir das Geld?«
    Dann ging er. Sofia und Maria standen mit niedergeschlagenen Augen da. Alle Kinder in der Klasse sahen sie an.
    » Seid ihr Zwillinge?«, fragte Philomena und lächelte sie an. Sofia schüttelte den Kopf. Ihr Mund war trocken und sie brachte kein Wort hervor.
    Philomena zeigte auf eine Bank, auf der zwei Mädchen saßen.
    »Dort könnt ihr sitzen«, sagte sie. »Wir haben keine Bücher, Stifte und kein Papier. Wir haben nicht mal Kreide für die schwarze Tafel. Deswegen müsst ihr euch alles ganz genau merken. Setzt euch jetzt.«
    Das war der Tag, an dem sie in die Schule kamen. Abends, als sie sich hingelegt hatten, konnte Sofia nicht einschlafen. Vorsichtig schlich sie aus der Hütte und blies in die Glut, bis die Flammen erneut aufflackerten.
    Irgendwo hörte sie Trommeln. Um sie herum zirpten unsichtbare Grillen. Sie sah tief ins Feuer.
    Ihr war, als ob sie Muazenas Gesicht erkennen könnte in den Flammen. Und Papa Hapakatanda. Sie meinte, er lächelte ihr zu.
    Sie starrte ins Feuer und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Vielleicht konnte man beides gleichzeitig tun? Lachweinen?
    Die Flammen tanzten in der Dunkelheit. Sofia dachte an all die ungenutzten Tage, die vor ihr lagen. Muazena hatte sie mit Maispflanzen verglichen, die hell werden sollten. Es gab auch noch etwas anderes als Monster, die in der Dunkelheit lauerten. Das Leben war so viel mehr. Und sie war froh.
    4.
    Einige Tage nachdem Maria und Sofia in der Schule angefangen hatten, kam José-Maria und sagte, alle Neuankömmlinge sollten sich am Abend versammeln. Die Mädchen sollten auch Lydia ausrichten, dass alle zu diesem Treffen kommen mussten. Maria bekam einen Schreck.
    »Vielleicht dürfen wir nicht hier bleiben«, sagte sie. »Warum sollten wir das nicht dürfen?«, antwortete Sofia. »Sie lassen uns doch nicht erst in die Schule gehen, wenn wir dann nicht bleiben dürfen.« Sie waren auf dem Heimweg von der Schule. »Vielleicht gibt es auch hier Banditen?«, fragte Maria. »Vielleicht müssen wir alle weg?«
    Sofia fand, dass Maria manchmal allzu viele Fragen stellte. Warum sollte sie, die Jüngere, alle Fragen beantworten? »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Frag nicht mehr.«
    Am Abend, in der Stunde der kurzen Dämmerung, als die Sonne über dem Fluss sank, versammelten sich alle am Brunnen, der mitten im Dorf lag.
    José-Maria kletterte
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