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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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Arbeit unterbrach, ehe man damit fertig war. Maria würde das nie tun, dachte Sofia. Sie hätte erst fertig gefegt. Da gibt es immerhin einen Unterschied zwischen ihr und mir.
    Maria zog Grimassen wegen der schweren Wanne auf ihrem Kopf. Sofia half ihr, die Wanne abzustellen. Dann trugen sie die Wanne zwischen sich hinauf zur Hütte. Währenddessen erzählte Sofia, was Lydia gesagt hatte.
    »Wenn wir Kinder bekommen,- sind sie einander vielleicht auch ähnlich«, sagte Maria.
    »Es hängt wohl davon ab, wer ihre Väter sind«, antwortete Sofia. »Dass wir einander so ähnlich sind, kommt daher, weil wir Hapakatanda ähnlich sind.« Dann biss sie sich auf die Zunge. Entsetzt dachte sie, dass sie etwas getan hatte, was man nicht tun durfte. Sie hatte von ihrem toten Vater gesprochen.
    Maria machte ein Zeichen, dass sie die Wanne abstellen wollte. Dann setzte sie sich auf die Erde und Sofia tat es ihr nach.
    »Ich träume jede Nacht von Vater«, sagte Maria. »Ich träume, es ist Morgen und er sitzt draußen vor der Hütte.«
    »Du weißt, dass er tot ist«, antwortete Sofia. »Die Banditen haben ihn mit dem Beil erschlagen.« »Warum träume ich dann, dass er lebt?« Sofia wusste keine Antwort. Häufig war es so, dass Maria Fragen stellte und Sofia antwortete. Eigentlich hätte es umgekehrt sein müssen, da Maria die Ältere war und mehr hätte wissen müssen als Sofia. Aber diesmal hatte sie keine Antwort.
    »Werden wir immer hier wohnen?«, fragte Maria und Sofia merkte, dass ihr plötzlich traurig zu Mute war. Sie krümmte sich zusammen, als ob sie irgendwo im Körper Schmerzen hätte.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Aber eines Tages, wenn wir groß sind, können wir vielleicht nach Hause zurückkehren. Selbst wenn Lydia hier bleibt.« »Aber wie sollen wir nach Hause finden?« »Das wird schon gehen.
    Wenn wir es nur genug wollen, dann finden wir auch zurück.«
    Sie blieben eine Weile neben der Wanne mit Wasser sitzen und redeten. Sie versprachen einander, dass sie eines Tages, was immer geschah, nach Hause in das Dorf zurückkehren würden, das die Banditen niedergebrannt hatten.
    Als sie die Wasserwanne herbeitrugen, war Lydia böse. Sie redete schnell und laut und sie zeigte auf den Besen und sagte zu Sofia, eine richtige Frau stelle den Besen erst beiseite, wenn sie mit Fegen fertig sei. Sofia sagte nichts. Sie wusste, dass Lydia nie sehr lange böse war. Aber weder Sofia noch Maria vergaßen, worüber sie neben der Wanne gesprochen hatten.
    Eines Tages würden sie nach Hause zurückkehren. Keine von ihnen durfte das Versprechen brechen.
    Sie hatten ihre Hütte gebaut und sie hatten ein neues Zuhause. Aber alles war lange Zeit ungewohnt und fremd.
    Sofia fand es schwer, in einem Dorf zu leben, in dem nicht alle einander schon lange kannten. Oder dieselbe Sprache redeten. Anfangs waren sie und Maria schüchtern gegenüber den anderen Kindern. Aber sie hatten Glück.
    Denn sie fanden fast sofort einen Freund, einen Jungen, der Lino hieß und einige Jahre älter war. Er wohnte in einer Hütte in ihrer Nähe an dem staubigen Weg, der zu dem Haus führte, in dem der weiße Pfarrer und die beiden Nonnen wohnten. Lino redete dieselbe Sprache wie Maria und Sofia. Er war groß und mager. Aber das Merkwürdige an ihm war, dass seine beiden Augen über Kreuz sahen. Er konnte Maria und Sofia gleichzeitig ansehen. Eines Tages hatte er vor ihrer Hütte gestanden, es war ein Sonntag, an dem sie nicht draußen auf den großen Feldern arbeiteten, wo Mais und Gemüse angepflanzt wurden. Er trug genauso zerrissene Kleider wie alle anderen. An einem Fuß trug er einen Schuh. Da er nur einen Schuh besaß, hatte er sich auf den anderen Fuß einen Schuh gemalt. Lydia war weggegangen. Sie wollte versuchen ein Stück Seife gegen einen Korb einzutauschen, den sie an den Abenden geflochten hatte. Maria und Sofia waren allein zu Hause und passten auf Alfredo auf. »Wie könnt ihr euch so ähnlich sehen?«, fragte Lino. »Ihr könnt euch ja ineinander spiegeln.« Sofia dachte, sie müsste etwas antworten. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Wie kann man gleichzeitig in zwei Richtungen sehen?«, fragte sie schließlich.
    »Das ist mein Geheimnis«, antwortete Lino. Dann erzählte er, dass er zusammen mit einer Tante und einem Onkel ins Dorf gekommen war. Seine Eltern waren von den Banditen bei einem Überfall weit, weit weg gekidnappt worden. Er wusste nicht einmal, ob sie noch lebten. Maria erzählte, was in ihrem Dorf
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