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Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen
Autoren: C Redfern
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es war, im Meer zu versinken.

Z um ersten Mal seit einer Woche arbeitet sie wieder im Garten – ein Gefühl, als würde sie nach langer Zeit einem alten Freund wieder begegnen. Der Kontakt mit der nackten Erde hat ihr schon immer viel bedeutet. Sie liebt es, das grüne Blut des Lebens zu verschwenden. Am liebsten mag sie den Frühling: die leuchtenden Zitronenbäume, das frische Grün. Alles erwacht, wird neu belebt, alles strebt eilends der Sonne entgegen. Bislang hat sie ihn noch nie in dieses mit einem Holzzaun umhegte geräumige Eden hinausgeführt, wo sie eine Eva sein kann, wie noch kein Künstler sie gemalt hat. Aber warum sollte sie auch? Doch eines Tages würde sich gewiss eine Gelegenheit ergeben. Dann würde sie sich eine Gießkanne schnappen, mit ihm hinausgehen und ihm die einzelnen Pflanzen zeigen, ihm ihre Geschichte erzählen. Jedes dieser vegetabilen Wesen hat eine Vergangenheit und eine Zukunft, nimmt einen bestimmten Platz im Gesamtgefüge des Gartens ein. Doch wahrscheinlich würde er sich nur langweilen. Er hat noch nie von Gärten gesprochen. Sie vermutet, dass sie ihn immer – in allen Dingen – ein wenig langweilt. Sie bemerkt gelegentlich, wie sein Blick abschweift, und es gibt nichts, was sie sagen könnte, kein Thema, das sie ansprechen könnte, um den entstandenen Schaden zu beheben. Bislang haben sie an Gemeinsamkeiten lediglich entdeckt, dass sie beide ruhelos sind und Tiere lieben; ferner eine Schwäche für Süßigkeiten, die Gewohnheit, die Fingernägel abzukauen, und einen Sinn für das Absurde. Eigentlich eine ziemlich stattliche Liste.
    Sie wischt sich das Gesicht mit dem T-Shirt ab, stützt sich auf den Spaten. Sie weiß, dass sie von einer Katze beobachtet wird, die sie wie ein Wüstenluchs beäugt, wie ein schläfriger Wolfshund. Auch die Vögel sind hellwach und warten darauf, dass sie aus dem Erdreich eine Kreatur zutage fördert, die durch die unvermittelte Helligkeit geblendet, den herabschießenden Schatten, die nahenden Flügel nicht bemerkt. Ihre Hände stecken in groben Stoffhandschuhen, die oben so weit sind, dass trotzdem Erdkrumen den Weg zwischen ihre Finger gefunden haben und ein unangenehmes Gefühl verursachen. Angst vor Spinnen oder anderen sich schlängelnden oder krabbelnden Tieren kennt sie nicht. Auch vor Schlangenbissen oder Insektenstichen hat sie keine Angst. Ja, sie glaubt, dass eigentlich gar nichts sie ernstlich zu schrecken vermag. Eine komfortable Vorstellung, dass solche Gleichgültigkeit als Mut gilt, doch vermutlich ist ihr einfach alles nur egal.
    Wenn er hier ist, zittert er. Zwar kennt er sich inzwischen im Haus einigermaßen aus, doch er ist immer noch ganz entschieden ein Fremder, ein Bündel überreizter Nerven – mit vor Angst und Unentschlossenheit zugeschnürter Kehle. Er sitzt unbehaglich wie eine Jungfrau auf der Couch, blickt mit flüchtiger Verzweiflung um sich, hingestreckt auf der Folterbank seiner Schuldgefühle. Und wenn sie sich an ihn kuschelt, kann sie fast hören, wie er zu schreien anfängt. Ich möchte dich ficken, bis du zu schreien anfängst. Dieser Kampf zwischen Kühnheit und Abwehr lässt ihn in ihren Augen nur noch anziehender erscheinen. Aber sie weiß auch, wie leicht Angst in Hass umschlagen kann, und sie fragt sich, was er wohl denken mag, wenn sie ihn küsst, worüber er nachsinnen mag, wenn er fern von ihr ist.
    Es ist kühl an diesem Nachmittag im zeitigen Frühjahr. Eine Böe streift über die leeren Pflanztöpfe hinweg, lässt die fast nackten Äste der Aprikosen- und Apfelbäume erschaudern. Sie entdeckt in dem Loch, das sie gerade aushebt, eine blaue Porzellanscherbe, ein Bruchstück eines längst vergessenen Tellers. Sie liebt es, Dinge auszugraben: Knochen und Münzen, Plastikspielzeug aus Kindheitstagen. Sie schiebt die Scherbe in die Hosentasche.
    Dennoch wird ihr immer klarer, wie sinnlos es ist, seine Gedanken erraten zu wollen. Sie liegt mit ihren Vermutungen ohnehin meist falsch. Er erscheint ihr ungreifbar und wankelmütig – sie weiß nur zu gut, dass sie eine Sprache, die sie nicht richtig versteht zu lesen, den Takt einer völlig unberechenbaren Melodie zu erraten sucht. Sie hat immer viel auf ihre Menschenkenntnis gehalten, doch kann sie seine Reaktionen fast nie mit Bestimmtheit voraussagen. Kaum hat sie etwas getan oder gesagt, ist ihr schon klar, dass sie durch ihre dumme, lächerliche Art wieder einmal alles verdorben hat. Doch dann stellt sie fest, dass er kaum eine Reaktion zeigt,
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