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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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die Schultern. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie es zuletzt gewaschen hat. Als letzte Anstrengung tauscht sie ihre flachen Sandalen gegen ein Paar Riemchenpumps und legt einen Hauch Lippenstift auf. Kein Grund, so mies auszusehen, wie ich mich fühle.
    Sie kommt an dem Haus an, wo zwei am Verandageländer festgebundene Bündel blassblauer Luftballons verkünden: ES IST EIN JUNGE ! Sie holt tief Luft und klingelt. Fast im selben Moment fliegt die Tür auf, und eine brünette Frau in einem geblümten Kleid strahlt sie an. »Hi, ich bin Rebecca, aber alle nennen mich Becky. Hereinspaziert. Moment, lassen Sie mich das nehmen.« Sie greift nach der pastellfarbenen, mit Buchstaben bedruckten Schachtel unter Somers Arm. »Ist das nicht wunderbar für Gabriella?« Becky klatscht in die Hände und hüpft ein wenig auf und ab. Somer blickt sich um und sieht ein Wohnzimmer voller Frauen wie Becky, von denen jede einen mit blauen Babyschühchen verzierten Teller in der Hand hat.

    »Woher kennen Sie Gabi?«, fragt Somer und denkt, dass sie den vollen Namen ihrer Freundin seit dem ersten Tag im Medizinstudium nicht mehr gehört hat.
    »Ach, wir sind Nachbarinnen. Das hier ist so eine tolle Gegend für Kinder, wissen Sie, viel besser als die Stadt. Wir haben uns riesig gefreut, als Gabriella und Brian hergezogen sind. Noch mehr Kinder, mit denen der kleine Richard spielen kann.« Sie lacht, fährt sich mit einer Hand durch das gewellte braune Haar. »Und Sie?«
    »Uni«, erwidert Somer. »Wir haben zusammen studiert.« Sie hält Ausschau nach einem Fluchtweg, wirft einen Blick aufs Büfett, in dessen Mitte eine Punschschüssel mit einem ominös aussehenden blauen Gebräu thront. Erleichtert sieht sie Gabi herüberwatscheln und versucht, ihr nicht allzu auffällig auf den gewaltigen Bauch zu starren.
    »Hi, Somer«, sagt Gabi und beugt sich zur Seite in dem Versuch, sie zu umarmen. »Danke, dass du extra die lange Fahrt hier raus in die Vorstadt auf dich genommen hast. Becky hast du ja schon kennengelernt.«
    »Gabriella, ich habe deiner Freundin eben erzählt, wie gern wir in Marin wohnen«, sagt Becky. »Sind Sie verheiratet, Somer?«
    »Ja, sie hat sich eines Kommilitonen von uns erbarmt … so ein einfacher Neurochirurg«, antwortet Gabi für sie mit einem Zwinkern. Somer wappnet sich für die unvermeidliche nächste Frage, aber sie kommt zu schnell.
    »Haben Sie Kinder?«
    Somer schluckt schwer. Ihr ist, als hätte jemand an einem heißen Tag direkt vor ihrer Nase die Gefrierschranktür geöffnet. »Nein, noch … nicht«, sagt Somer mit zugeschnürter Kehle.
    »Ach, wie schade«, sagt Becky und zerknautscht promptdas Gesicht zu einem Ausdruck übertriebenen Mitleids. »Kinder sind wirklich das Tollste überhaupt. Na, wenn Sie den Sprung gewagt haben, ziehen Sie auch zu uns hier raus.« Becky geht, um die Haustür zu öffnen, und Somer hat eine flüchtige Vision, wie sie ihr mit einer Hand kräftig an den wippenden braunen Haaren zieht.
    »Somer, tut mir so leid –« Gabi legt eine Hand an Somers Ellbogen.
    »Schon gut«, sagt Somer und verschränkt die Arme. Sie spürt, wie der Kloß in ihrem Hals anschwillt und ihr Gesicht rot anläuft. »Ich bin gleich wieder da. Ich muss kurz zur Toilette.« Sie huscht in die Diele, doch statt im Bad zu verschwinden, geht sie weiter und zur Haustür hinaus, wo sie sich in den blauen Luftballons verheddert, bevor sie die Einfahrt hinunter zur Straße läuft. Sie setzt sich auf die Bordsteinkante. Sie kann das alles nicht noch einmal durchstehen, den Babykostprobierwettbewerb oder das Spiel »Ratet mal, wie dick Gabis Bauch ist«. Sie kann es nicht noch einmal mit ansehen, wie alle bei jedem süßen kleinen Teil der Babyausstattung schier in Verzückung ausbrechen. Sie kann sich nicht schon wieder anhören, wie die Frauen über Schwangerschaftsstreifen und Wehenschmerzen als Initiationsriten diskutieren. Alle tun so, als wäre Frausein und Muttersein untrennbar miteinander verflochten. Eine naheliegende Gleichung, die sie selbst auch mal gezogen hat. Bloß jetzt weiß sie, dass es eine gewaltige Lüge ist.
    Ihre erste Fehlgeburt war eine Erleichterung gewesen. Sie und Krishnan waren erst zwei Jahre verheiratet und noch mitten in der Facharztausbildung, als ein rosa Strich auf dem Schwangerschaftsteststreifen Diskussionen entfachte. Sie hatten warten wollen, bis Somer fertige Kinderärztin war, bis einer von ihnen ein geregeltes Einkommen und halbwegs passable Arbeitszeiten hatte. Und
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