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Geheime Tochter

Geheime Tochter

Titel: Geheime Tochter
Autoren: Shilpi Somaya Gowda
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schließt die Augen, und ihr Weinen wird lauter, bis Aruns Fragen und Rupas Antworten zu einem Hintergrundgemurmel verklingen und sie beinahe vergisst, dass die beiden da sind. Sie vergisst beinahe, wo sie ist. Kavita hört nicht auf, weint und wiegt sich, nimmt weder den ständigen Schmerz in ihrer Beckengegend noch ihre blutigen, rissigen Fußsohlen wahr, bis Rupa sie an der Schulter rüttelt.
    » Bena , es ist Zeit«, sagt Rupa und greift behutsam nach dem Baby in Kavitas Armen. Und jetzt kann Kavita nur noch das Schreien hören. Während sie spürt, wie Usha ihr aus den Händen gezogen wird, hört sie nur noch das Schreien in ihrem Kopf, dann die Schreie, die aus ihrem eigenen Mund kommen. Sie hört Usha brüllen. Sie sieht,dass Rupa sie anherrscht, beobachtet, wie sich ihr Mund bewegt, wie er wieder und wieder die gleichen lautlosen Worte formt. Sie spürt, wie Rupa sie entschlossen an den Schultern hochzieht und den Flur hinunter Richtung Vordertür schiebt. Kavita hat die Arme noch immer ausgestreckt, aber sie halten nichts mehr. Nachdem das Metalltor scheppernd hinter ihnen zugefallen ist, gellt Kavita noch immer Ushas durchdringendes Heulen in den Ohren.

8
Optionen
    San Francisco, Kalifornien – 1984
Somer

    »Schatz, hast du gehört?« Kris hält ihre beiden Hände auf seinem Schoß, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzen und einander ansehen. Somer versucht, sich zu erinnern, was er soeben gesagt hat.
    »Ich habe gesagt, wir haben noch andere Optionen«, sagt er.
    Sie sieht sich im Zimmer um und bemerkt, dass er ein paar Kerzen angezündet und die Jalousien geschlossen hat. Eine Flasche Rotwein und zwei Gläser stehen auf dem Couchtisch, daneben liegt ein dicker Umschlag. Sie hört von draußen die Geräusche des Rushhour-Verkehrs und das Quietschen der N-Judah-Straßenbahn. Wann ist das alles passiert? Haben sie nicht noch vor einer Stunde im Büro des Arztes gesessen?
    Somer hatte schließlich darauf bestanden, zu einem Fertilitätsspezialisten zu gehen. Sie war es leid, noch länger darauf zu warten, dass die Natur ihren Lauf nahm, war es satt, Monat für Monat nach jedem weiteren negativen Schwangerschaftstest als Trostpreis eine Flasche Wein aufzumachen. Wenn sie wussten, wo ihr Problem lag, so machte sie sich bewusst, würden sie etwas dagegen unternehmen können. Sie vermutete, dass es an ihr lag. Kris stammte aus einer großen Familie, und jeder seiner Brüder hatte bereits ein paar Kinder. Somer war Einzelkind, wenngleich ihre Eltern das nie zum Thema gemacht hatten.
    Heute Nachmittag im Büro des Arztes erhielten sie die Diagnose, vor der ihr die ganze Zeit gegraut hatte. Es lag an ihr. Vorzeitige Ovarialinsuffizienz. Auch vorzeitige Menopause genannt. Auf einmal ergab alles einen Sinn. Das vergangene Jahr hindurch war ihr Zyklus unregelmäßig gewesen: Auf eine ausgefallene Regelblutung konnte eine starke folgen. Sie hatte gedacht, ihre Hormone würden verrückt spielen, weil sie schwanger geworden war, dabei war in Wirklichkeit ihr Fortpflanzungssystem langsam zum Erliegen gekommen. Innerhalb eines weiteren Jahres, so ihr Arzt, wäre sie vollständig in der Menopause. Im Alter von gerade mal zweiunddreißig wird sie nicht mehr in der Lage sein, Kinder zur Welt zu bringen, also ihre natürliche Bestimmung als Frau zu erfüllen. Was werde ich dann sein? Ihr ganzes Leben lang hat sie sich mit den Jungs gemessen, ihre Weiblichkeit kompensiert und, wie es scheint, das Schicksal herausgefordert.
    »Hast du noch mal darüber nachgedacht, worüber wir gesprochen haben?«, fragt Kris. »Adoption? Meine Mutter sagt, das Waisenhaus kann da schnell etwas machen – vielleicht sogar in weniger als neun Monaten«, sagt er mit einem schiefen Lächeln. Er ist auf das Waisenhaus in Bombay fixiert, wo seine Mutter sich als Patin engagiert. Die Abwicklung läuft angeblich schneller, wenn wenigstens ein Elternteil indischer Herkunft ist und ausreichend finanzielle Mittel nachweisen kann.
    »Das ist nicht witzig.« Sie legt den Kopf an die Polster. »Du gibst uns auf.«
    »Nein, Schatz, das stimmt nicht …«
    »Wieso fängst du dann immer wieder davon an? Wir können es weiter versuchen. Mein Arzt meint –«

    »– dass die Chancen äußerst gering sind.«
    »Ja, aber es ist nicht aussichtslos.« Somer entzieht ihm ihre Hände und legt sie sich auf den Schoß.
    »Schatz, wir haben doch alles versucht. Dr. Hayworth hat gesagt, du bist keine gute Kandidatin für die neue In-vitro-Technik, und selbst
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