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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel
Autoren: K Morton
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Erst viel später begriff ich, wie entsetzt er gewesen sein musste, wie gnadenlos ihm wohl der gesellschaftliche Umbruch erschienen war,
der die Welt um ihn herum erfasst hatte und auch ihn einzuholen drohte. Wie verzweifelt er sich an die alten Traditionen und Gewissheiten klammerte.
    Aber er hatte recht behalten. Nicht ganz, nicht, was meinen Ruin betraf – weder meine Finanzen noch meine Moral haben nach meinem Weggang gelitten –, aber ein Teil von mir ist in dem Haus zurückgeblieben. Oder, besser gesagt, ein Teil des Hauses hat mich nie verlassen. Noch Jahre später brauchte ich nur das Bienenwachs von Stubbins & Co. zu riechen, das Knirschen von Reifen auf Kies oder eine bestimmte Art von Glocke läuten zu hören, und ich war wieder vierzehn, erschöpft nach einem langen Arbeitstag, trank Kakao am Kamin des Dienstbotenzimmers, während Mr Hamilton ausgewählte Passagen aus der Times vorlas (die, die er als geeignet für unsere besonders empfindlichen Ohren erachtete), während Nancy über irgendeinen abfälligen Kommentar von Alfred die Stirn runzelte und Mrs Townsend leise in ihrem Schaukelstuhl schnarchte, das Strickzeug auf dem breiten Schoß …
    »Ah, da kommt ja der Tee«, sagte Ursula. »Vielen Dank, Tony.«
    Ein junger Mann mit einer Ansammlung unterschiedlicher Henkeltassen und einem Marmeladenglas voll Zucker auf einem behelfsmäßigen Tablett war neben mir aufgetaucht. Er stellte seine Last auf dem Beistelltisch ab, und Ursula verteilte die Tassen. Ruth reichte eine an mich weiter.
    »Was ist los, Mum?« Sie zog ein Taschentuch heraus und betupfte mein Gesicht. »Geht es dir nicht gut?«
    Da spürte ich, dass meine Wangen feucht waren.
    Der Duft nach Tee war schuld. Dass ich dort in diesem Raum auf diesem Ledersofa saß. Das Gewicht von Erinnerungen an längst Vergangenes, das Wiedererwachen
lange gehüteter Geheimnisse. Der Zusammenprall von Vergangenheit und Gegenwart.
    »Grace? Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Ursula. »Möchten Sie vielleicht, dass ich die Heizung herunterdrehe? «
    »Ich werde sie nach Hause bringen müssen.« Ruth schon wieder. »Ich habe ja gleich gewusst, dass das keine gute Idee ist. Das ist einfach zu viel für sie.«
    Ja, ich wollte zurück nach Hause. Zu Hause sein. Ich spürte, wie ich aus dem Sofa gezogen wurde, wie man mir meinen Spazierstock in die Hand drückte. Stimmen umschwirrten mich.
    »Es tut mir leid«, murmelte ich vor mich hin. »Ich bin nur müde.« So müde. Alles ist so lange her.
    Meine Füße schmerzten, begehrten auf gegen das Eingesperrtsein. Jemand – vielleicht Ursula – stützte mich. Kalter Wind schlug mir ins feuchte Gesicht.
    Dann war ich in Ruths Auto, Häuser, Bäume und Straßenschilder flogen vorüber.
    »Keine Sorge, Mum, es ist schon vorbei«, sagte Ruth. »Ich mache mir große Vorwürfe. Ich hätte dich nie da hinbringen sollen.«
    Ich legte eine Hand auf ihren Arm, spürte, wie sie sich anspannte.
    »Ich hätte mich auf mein Gefühl verlassen sollen«, sagte sie. »Das war wirklich dumm von mir.«
    Ich schloss die Augen, lauschte dem Summen der Heizung, dem Pulsieren der Scheibenwischer, dem Dröhnen des Straßenverkehrs.
    »So ist es gut, ruh dich ein bisschen aus«, sagte Ruth. »Ich bringe dich nach Hause. Du brauchst da nicht noch mal hin.«
    Ich lächelte, während ich eindöste.
    Zu spät. Ich bin zu Hause. Ich bin wieder zurück.

The Braintree Daily Herald
    17. Januar 1925
     
     
     
     
    Unfallopfer identifiziert: Bekannte Schönheit tot
     
     
    Die Frau, die gestern Vormittag bei einem Automobilunfall auf der Braintree Road ums Leben kam, wurde als die bekannte Schönheit und Filmschauspielerin Miss Emmeline Hartford, 21, identifiziert. Miss Hartford war zusammen mit drei weiteren Personen auf dem Weg von London nach Colchester gewesen, als das Fahrzeug von der Straße abkam und gegen eine alte Eiche prallte.
    Miss Hartford ist die Einzige, die bei dem Unfall den Tod fand. Die anderen Insassen des Wagens wurden schwer verletzt ins Krankenhaus von Ipswich eingeliefert.
    Die vier Personen wurden am Sonntagnachmittag im Godley House, dem Landsitz von Miss Hartfords Jugendfreundin Mrs Frances Vickers erwartet. Mrs Vickers verständigte die Polizei, als ihre Gäste nicht eintrafen.
    Eine polizeiliche Untersuchung soll die Ursache des Unfalls ermitteln. Zum jetzigen Zeitpunkt steht noch nicht fest, ob gegen den Fahrer Anklage erhoben wird. Laut Aussage von Zeugen war der Unfall auf zu hohe Geschwindigkeit und eine
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