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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel
Autoren: K Morton
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meine alten Gewohnheiten zu sehr, um ihn gegen irgendetwas anderes einzutauschen.

    Sie ist ein gutes Mädchen, meine Ruth – solide und zuverlässig. An diesem Tag war sie sehr förmlich gekleidet, wie für einen Besuch bei ihrem Anwalt oder ihrem Arzt. Aber damit hatte ich gerechnet. Sie wollte einen guten Eindruck machen, dieser Filmemacherin zeigen, dass Ruth Bradley McCourt, egal, was ihre Mutter in der Vergangenheit getan haben mochte, eine seriöse, respektable Angehörige der Mittelschicht war.
    Nachdem wir eine Weile gefahren waren, schaltete Ruth das Radio ein. Sie hat die Finger einer alten Frau, die Knöchel geschwollen, weil sie am Morgen mit Gewalt ihre Ringe darübergezwängt hatte. Es ist verblüffend, die eigene Tochter altern zu sehen. Ich betrachtete meine auf dem Schoß verschränkten Hände. Hände, die früher einmal so agil gewesen waren, die einfache und komplexe Arbeiten verrichtet hatten, Hände, die jetzt grau, schlaff und träge dalagen. Endlich hatte Ruth sich für einen Sender entschieden, der klassische Musik spielte. Der Sprecher plauderte eine Weile über belanglose Dinge, dann legte er Chopin auf. Purer Zufall, dass ich ausgerechnet heute Chopins Walzer in Cis-Moll zu hören bekam.
    Ruth hielt vor ein paar riesigen weißen Gebäuden, die so breit waren wie Flugzeughallen. Nachdem sie den Motor ausgeschaltet hatte, blieb sie noch einen Moment lang sitzen, den Blick nach vorn gerichtet. »Ich weiß nicht, warum du dir das antust«, sagte sie leise mit gespannten Lippen. »Du hast so viel aus deinem Leben gemacht, bist gereist, hast studiert, eine Tochter großgezogen … Warum willst du daran erinnert werden, was du einmal gewesen bist?«
    Sie erwartete keine Antwort, und ich gab ihr auch keine. Plötzlich seufzte sie, sprang aus dem Wagen und nahm meinen Spazierstock aus dem Kofferraum. Wortlos half sie mir beim Aussteigen.

    Eine junge Frau erwartete uns. Ein schmächtiges Mädchen mit sehr langen blonden Haaren, die ihr glatt über den Rücken fielen und über den Augen zu einem dichten Pony geschnitten waren. Der Typ Mädchen, den man als unscheinbar hätte bezeichnen können, wäre sie nicht mit so unglaublichen Augen gesegnet gewesen. Sie hätten in ein Ölgemälde gehört, rund, ausdrucksstark und so schimmernd dunkel wie nasse Farbe.
    Sie kam lächelnd auf uns zu und nahm meine Hand von Ruths Arm. »Mrs Bradley, wie schön, dass Sie es einrichten konnten. Ich bin Ursula.«
    »Grace«, sagte ich, bevor Ruth dazu kam, sie auf meinen Doktortitel hinzuweisen. »Nennen Sie mich Grace.«
    »Grace.« Ursula strahlte. »Sie glauben gar nicht, wie ich mich über Ihren Brief gefreut habe.« Sie sprach mit englischem Akzent, eine Überraschung, wo doch auf dem Brief ein amerikanischer Absender gestanden hatte. Sie wandte sich an Ruth. »Vielen Dank, dass Sie sich als Chauffeurin zur Verfügung gestellt haben.«
    Ich spürte, wie Ruth neben mir ganz steif wurde. »Ich konnte meine Mutter ja wohl schlecht in einen Bus setzen, oder?«
    Ursula lachte. Zum Glück sind junge Leute so schnell bereit, Unhöflichkeit als Ironie aufzufassen. »Kommen Sie rein, es ist ja eiskalt draußen. Tut mir leid, dass das alles so schnell gehen muss. Wir fangen nächste Woche an zu drehen, und im Moment wissen wir kaum noch, wo uns der Kopf steht vor lauter Stress. Ich hätte Sie gern unserer Bühnenbildnerin vorgestellt, leider musste sie nach London fahren, um Stoff zu kaufen. Aber falls Sie noch hier sind, wenn sie zurückkommt … Vorsicht an der Tür, da ist eine kleine Stufe.«
    Ursula und Ruth bugsierten mich in ein Foyer und durch einen dunklen Gang mit einer Reihe von Türen
rechts und links. Einige davon standen offen, und ich erkannte schattenhafte Gestalten vor leuchtenden Computerbildschirmen. Es war alles ganz anders als das Filmstudio, in das ich Hannah damals begleitet hatte, um Emmeline abzuholen.
    »Da sind wir«, verkündete Ursula, als wir vor der letzten Tür angekommen waren. »Kommen Sie rein, ich besorge uns einen Tee.« Sie öffnete die Tür, und ich wurde über die Schwelle direkt in meine Vergangenheit geschoben.
     
    Es war der Salon von Riverton Manor. Selbst die Tapete war die gleiche, eine burgunderrote Jugendstiltapete der Firma Silver Studios, Design »Flammende Tulpen«, so frisch wie an dem Tag, als die Tapezierer sie aus London mitgebracht hatten. In der Mitte, vor dem Kamin, stand ein Ledersofa, drapiert mit indischer Seide, genau wie die, die Lord Ashbury, Hannahs und
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