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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel
Autoren: K Morton
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Köchin, Mrs Townsend, für alles zuständig sei, was mit der Küche zu tun hatte. Wenn die beiden
mit mir zufrieden wären, würde ihr das als Empfehlung reichen, um mich anzustellen.
    Dann hatte sie mich so durchdringend angesehen, dass ich mich gefühlt hatte wie eine Maus in der Falle. Ich musste an den hässlichen Rand an meinem Rocksaum denken, den meine Mutter mehrmals herausgelassen hatte, wenn ich wieder gewachsen war, an den kleinen Flicken auf meinem Strumpf, der in meinem Schuh drückte und immer dünner wurde, an meinen zu langen Hals und meine zu großen Ohren.
    Schließlich ein Blinzeln und ein Lächeln – ein schmallippiges Lächeln, das ihre Augen in eisige Halbmonde verwandelte. »Nun, du wirkst sauber, und Mr Hamilton hat mir gesagt, dass du nähen kannst.« Ich nickte, und sie stand auf und ging hinter ihren Schreibtisch, wobei sie ihre Finger leicht über die Sessellehne gleiten ließ. »Wie geht es deiner Mutter?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. »Wusstest du, dass sie früher auch hier in Stellung war?« Ich antwortete, ja, ich wisse es, meiner Mutter gehe es gut, danke.
    Ich muss das Richtige gesagt haben, denn gleich darauf bot sie mir fünfzehn Pfund pro Jahr an und verkündete, ich könne gleich am nächsten Tag anfangen. Dann läutete sie nach Nancy und bat sie, mich nach draußen zu begleiten.
    Ich löste mich vom Fenster, wischte den feuchten Film ab, den mein Atem auf der Scheibe gebildet hatte, und kletterte vom Stuhl.
    Mein Koffer lag da, wo ich ihn abgestellt hatte, neben Nancys Seite des Betts, und ich schleppte ihn auf die andere Seite bis zu der Kommode, die für mich vorgesehen war. Ich bemühte mich, den blutenden, im letzten, grauenvollen Moment seines Lebens dahingestreckten Hirsch nicht anzusehen, während ich meine Kleider in
die oberste Schublade legte: zwei Röcke, zwei Blusen und ein Paar schwarze Strümpfe, die meine Mutter mich zu stopfen gebeten hatte, damit sie den nächsten Winter noch überdauern würden. Dann, nach einem kurzen Blick zur Tür und mit klopfendem Herzen, packte ich meinen geheimen Schatz aus.
    Es waren drei Bücher. Eselsohrige grüne Einbände mit verblassten goldenen Lettern. Ich verstaute sie ganz hinten in der untersten Schublade und bedeckte sie mit meinem Halstuch, das ich so um sie herum drapierte, dass sie vollständig verborgen waren. Mr Hamilton hatte sich deutlich ausgedrückt. Die Bibel sei akzeptabel, aber alles andere an Lesestoff sei meist schädlich, müsse ihm zur Begutachtung vorgelegt werden und würde andernfalls konfisziert. Ich war keine Rebellin – im Gegenteil, damals war ich noch zutiefst pflichtbewusst –, aber ohne Holmes und Watson zu leben war undenkbar.
    Den Koffer schob ich unters Bett.
    An einem Haken hinter der Tür hing meine Arbeitskleidung: schwarzes Kleid, weiße Schürze, mit Rüschen besetzte Haube. Als ich sie anzog, kam ich mir vor wie ein Kind, das sich vom Kleiderschrank seiner Mutter bedient hat. Der Stoff des Kleids, das offenbar einmal von einer kräftigeren Person getragen worden war, fühlte sich steif an, und der Kragen kratzte am Hals. Während ich mir die Schürze umband, flatterte eine winzige weiße Motte auf und flog auf der Suche nach einem neuen Versteck in die Dachbalken hinauf. Am liebsten wäre ich ihr gefolgt.
    Die Haube war aus weißem Baumwollstoff und gestärkt, sodass die vordere Rüsche hochstand. Vor dem Spiegel vergewisserte ich mich, dass sie ordentlich saß, und schob mein helles Haar hinter die Ohren, so wie meine Mutter es mir gezeigt hatte. Als mein Blick kurz
auf das Mädchen im Spiegel fiel, dachte ich: Was für ein ernstes Gesicht sie hat. Es passiert nur ganz selten, dass man sich selbst ganz entspannt im Spiegel sieht, und es ist ein bisschen unheimlich. Ein Augenblick der Unbefangenheit, ohne jede Verstellung, wenn man sogar vergisst, sich selbst etwas vorzumachen.
     
    Sylvia hat mir eine Tasse dampfenden Tee und ein Stück Zitronenkuchen gebracht. Sie sitzt neben mir auf der schmiedeeisernen Bank, wirft einen kurzen Blick in Richtung Büro und zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Seltsamerweise scheint sie immer gerade dann das Bedürfnis nach einer heimlichen Zigarette zu überkommen, wenn ich angeblich frische Luft brauche. Sie bietet mir eine an. Ich lehne wie immer ab, und sie sagt darauf wie immer: »Ist wahrscheinlich auch besser so in Ihrem Alter. Ich rauche halt eine für Sie mit, okay?«
    Sylvia sieht heute gut aus – sie hat irgendetwas an
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