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Gefürchtet

Titel: Gefürchtet
Autoren: Heyne
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Erste-Hilfe-Kasten den Arm abgebunden, aber die Glasscherben saßen tief in seinem Unterarm. Außerdem hatte er relativ viel Blut verloren.
    Als ich zum Rettungswagen ging, hatte Marcs kaffeebraunes Gesicht eine erschreckend graue Farbe angenommen. Ein Sanitäter leuchtete ihm mit einer Mini-Taschenlampe
in jedes Auge, um ihn auf Gehirnerschütterung zu untersuchen.
    »Mir dröhnt der Schädel, weiter nichts«, protestierte Marc.
    »Sie haben sich erbrochen«, gab der Sanitäter zu bedenken.
    »Ich war seekrank.«
    Der Sanitäter ließ die Taschenlampe sinken. »Aye, aye, Skipper.«
    Er verschwand im Wagen, um Material zu holen. Marc blieb an der Heckklappe sitzen und presste sich eine Kompresse an die Stirn.
    »In kleinen Booten werde ich immer seekrank. Ich brauche was, das hunderttausend Tonnen verdrängt. Mit Atomreaktoren und Startbahn.«
    Ich schlang die Decke fester um mei ne Schultern. »Devi Goldman sagt, an Bord hätte es eine Schießerei gegeben.«
    »Erst später. Murphy benutzte sie als Schutzschild, sodass ich nicht feuern konnte.« Er wandte den Blick ab. »Er hielt eine Whiskeyflasche in der Hand, mit der er sie traktieren wollte.«
    Er kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Wind zu schützen. Keiner von uns sprach aus, was wir beide fürchteten: dass Murphy davor PJ mit der Flasche vergewaltigt hatte.
    »Als Murphy mir die Flasche über den Schädel zog, konnte Devi fliehen. Er ist ihr natürlich sofort nach, aber vorher hat er mich in die Kajüte eingesperrt. Bis ich meine Schüsse abgeben konnte, war er schon an Deck.«
    Seine Miene war undurchdringlich, aber ich schüttelte den Kopf.

    »Du erzählst mir nicht die ganze Geschichte.«
    Ich zog die Kompresse weg. Eine tiefe Kerbe erstreckte sich über seinen Schädel.
    »Um Gottes willen, Marc. Murphy hat dich angeschossen.«
    »Nur ein Streifschuss.«
    Meine Knie fühlten sich an wie Wackelpudding. »Ich hätte die Festmacher erwischen müssen.«
    Seine Augen verrieten nichts, aber sein Mund wurde weich. »Du hast gekämpft wie eine Löwin.«
    »Du aber auch. Immerhin hast du Devi befreit.«
    »Ich wette, sie ist schon halb in Ari zona. Ich hab heute Nachmittag noch getankt.«
    Ein Deputy kam auf uns zu. »Miss? Können Sie jetzt Ihre Aussage machen?«
    »Noch fünf Minuten. Bitte.«
    Shaun war tot. Ein Schuss aus nächster Nähe in die Stirn. Seine letzten Worte waren leere Prahlerei gewesen. Sinsa war nämlich keineswegs blöd. Sie hatte eine Waffe in ihrem Stiefel versteckt gehabt, und Shaun war die Munition ausgegangen.
    Sinsa war bereits unterwegs ins Krankenhaus. Der Schuss aus der Signalpistole war aus dieser Entfernung zwar nicht tödlich gewesen, aber das Magnesium war auf ihrer Brust explodiert. Es würde lange dauern, bis sie sich erholte, und sie würde nie wieder aussehen wie früher. Ich konnte nicht das geringste Mitgefühl für sie aufbringen.
    Ich atmete tief durch. Toby Price war im Gefängnis. Lily Rodriguez hatte im Bus der Linie 22 gesessen, als er einstieg - zusammen mit drei Polizeibeamten in Zivil. Er hatte sich kampflos ergeben. Von ihm hatten wir nichts mehr zu befürchten.

    Marc streckte die Hand aus und strich mir das Haar aus den Augen. Sein Blick war völlig gelassen. Er deutete mit dem Kopf zum Strand.
    »Geh schon.«
    Ich marschierte zu dem Streifen zwischen Sand und Bermudagras, wo Jesse unter einer Rettungsdecke der Feuerwehr saß und versuchte, sich zu wärmen. Er starrte in die Richtung, in der der Hubschrauber verschwunden war.
    »Ich muss ins Krankenhaus. Er soll nicht allein sein«, sagte er.
    »Fahren wir.«
    Er warf ei nen Blick in Richtung Pier. »Der Mustang ist wahrscheinlich nicht mehr zu gebrauchen. Und mein Rollstuhl war auf dem Rücksitz.«
    Ich spähte zum Ende des Piers. Dann wandte ich mich zum Rettungswagen. »Marc, kannst du Jesses Auto erkennen?«
    Ein Blick aus seinen Adleraugen, dann hob er ermutigend den Daumen. Jesse atmete auf.
    Ich erhob mich. »Gib mir die Schlüssel, dann hol ich die Karre.«
    Jesse konnte den Blick nicht vom Himmel lösen. »Vielleicht kapiert er jetzt endlich, dass es so nicht weitergehen kann. Vielleicht war es ein heilsamer Schock.«
    Als ich die Sehnsucht in sei nen Augen bemerkte, hätte mich fast der Mut verlassen.
    Ich konnte PJs Geständnis für mich behalten, um die heikle Beziehung zwischen beiden Brüdern nicht zu gefährden. Wenn ich dagegen die Polizei informierte, landete PJ im Gefängnis. Jesse würde es das Herz brechen. Wie konnte ich ihm das antun,
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