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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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mein Gitterbett. Ja, mit fünf Jahren war ich so klein, dass ich dort immer noch hineinpasste. Drei Tage lang war ich ohnmächtig, und meine Eltern standen unbeschreibliche Ängste um mich aus. Dann kam die Krankenschwester.
    »Wenn sie nach drei Tagen immer noch nicht aufgewacht ist, wird sie sterben«, sagte sie mit Kennerblick und rührte Zucker in ihren Kaffee.
    »Und wenn … doch?« Panik schnürte meiner Mutter die Kehle zu.
    »Dann gib ihr was zu essen!« Kopfschüttelnd machte sich die Krankenschwester davon. Wie konnte man nur so begriffsstutzig sein? Wenn ein Balg aus der Ohnmacht erwacht, hat’s halt Hunger.
    Tatsächlich musste ich ins Leben zurück, zurück hinter die grünen Gitterstäbe im Schlafzimmer meiner Eltern.
    Das war der einzige Moment, in dem ich sah, wie sie sich alle umarmten. Sie sprangen auf, rannten in die Küche, die Mutter im weiten Flanellnachthemd, der Vater im gerippten Unterhemd, und bereiteten mir ein Festmahl, bestehend aus Mehlsuppe mit Rosinen. Der Duft nach süßer Milch, vermischt mit ihrem strengen Schweißgeruch, steht mir noch heute in der Nase.
    Kaum war die riesige Beule an meinem Hinterkopf abgeschwollen, musste ich wieder mit aufs Feld. Es war die kurze Zeit der Ernte, bevor der erste Herbststurm an den Zweigen unserer Obstbäume rüttelte, und der unbarmherzig lange Winter vor der Tür stand, in dem es nichts zu ernten gab.
    Natürlich durfte ich nicht mehr auf dem Leiterwagen mitfahren und wollte das auch gar nicht. Noch heute leide ich unter Höhenangst, und der kalte Angstschweiß steht mir auf der Stirn, wenn ich ein Flugzeug besteigen muss.
    »Und? Mussten Sie?«
    Jürgen Bruns beugte sich leise vor und sah mir ins Gesicht. Ich hatte inzwischen drei weitere Zigaretten geraucht, mit zitternden Fingern drückte ich gerade den letzten Stummel im Aschenbecher aus.
    Wie lange hatten wir hier schon gesessen? Es war bestimmt schon Mitternacht.
    »Ja«, versuchte ich ein harmloses Lachen, »allerdings.« Mein erster Flug war gleich ein Langstreckenflug von Kapstadt nach Frankfurt, und zwar mit gefälschten Papieren. Mein erster Flug war eine Flucht. Eine panische, kopflose Flucht mit meinen Söhnen, aus einem Land, in dem ich keine Rechte besaß, aus einem Land, in dem ich in Todesgefahr schwebte, aus einem Land, in dem mein ärgster Feind auf mich lauerte: Leo Wolf, der Vater meiner Kinder und mein damaliger Mann.
    Ich war nicht sicher, ob und wann ich das Jürgen Bruns alles erzählen würde. Aber ich merkte gleich, dass er ein guter Zuhörer war, der aufrichtig Anteil nahm an meinem Schicksal. Eine angenehme Wärme stieg in mir auf. Ich, die ich immer fröstelte, sobald die Temperatur unter fünfundzwanzig Grad sank, ich, die ich mich nachts an meine drei Wärmflaschen klammerte, um überhaupt einschlafen zu können, ich, die ich keine fünfzig Kilo wog und nicht ein Gramm Fett zum Verbrennen hatte, ich notorische Raucherin, die sich anders nicht beruhigen konnte, fror in Gegenwart dieses Mannes nicht.
    Auf Anhieb fasste ich Vertrauen zu ihm und erzählte ihm von meiner schweren Kindheit. Von der harten Feldarbeit, dem ständigen Hunger.
    »Sind Sie deswegen heute noch so dünn?«
    Jürgen Bruns ließ seinen Blick besorgt über mich gleiten, und schon wieder schoss mir die Röte ins Gesicht.
    »Ich war mein Leben lang eine halbe Portion«, entgegnete ich verlegen. Spätestens jetzt würde Jürgen Bruns bemerken, dass ich so gut wie keinen Busen hatte. Für so einen Luxus wie einen runden weiblichen Busen hatte mein Körper keine Reserven gehabt. Ich konnte froh sein, eine Größe von 1,57 Metern erreicht zu haben. Meine kurzen schwarzen Haare unterstrichen meinen knabenhaften Typ. Bald würde Jürgen Bruns jegliches Interesse an mir verlieren.
    »Es ist weit nach Mitternacht.« Jürgen Bruns stand auf und streckte seine langen Glieder. »Danke, dass Sie mir gleich am ersten Abend so viel über sich erzählt haben.«
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht gelangweilt. Sie sind sicherlich todmüde nach der langen Anreise!«
    »Das stimmt«, sagte er lächelnd und hielt mir die Tür auf. »Und ich muss ehrlich sagen, als ich feststellen musste, dass wir keinen Fernseher auf dem Zimmer haben, war ich fürs Erste schon enttäuscht. Aber jetzt … « Er ließ mich galant vorgehen und löschte das Licht im Raucherzimmer. »…haben Sie meinen ersten Abend spannender gestaltet, als ich das je zu hoffen gewagt hätte!«
    »Sie nehmen mich auf den Arm.« Mit hochroten Ohren
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