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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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Stroh.
    Als ich vier Jahre alt war, begriff ich, dass es eine Frage der Taktik war, um die Schläge und den Spott herumzukommen. Ich bat meine Schwester, mich einfach an einer einsamen Stelle unten am Bach zurückzulassen, bis ihre Schule aus war, und mich dann wieder mit nach Hause zu nehmen. Zu Hause habe ich dann meiner Mutter von den Spielen und Liedern im Kindergarten erzählt. So haben wir uns zwei Jahre lang vor den Schlägen gerettet.
    Tag für Tag saß ich vier Stunden lang auf einem Stein und schaute in die wechselnden Strömungen der Glatt. Ich warf Steinchen hinein und ließ meine kindlichen Fantasien mit den Wellen ziehen. Es gibt wohl kaum ein Kind auf der Welt, das sich so viel mit einem Bach zu erzählen gehabt hat. Und das so viele Steine zu Freunden hatte.
    »Was ist? Kommen Sie nicht mit auf unsere Winterwanderung?« Jürgen Bruns hatte an meine Zimmertür geklopft und lehnte nun abmarschbereit im Türrahmen. Er hatte eine Pudelmütze auf und hielt Lederhandschuhe in den Händen.
    »Nein, leider. Ich darf noch nicht.« In dicken Socken und Jogginghosen saß ich im Schneidersitz auf dem Bett und hörte Musik.
    »Sie dürfen nicht? Waren Sie ein unartiges Mädchen?« Um seine Mundwinkel zuckte es, als er mich schelmisch ansah. »Dabei habe ich mich schon so auf die Fortsetzung Ihrer Lebensgeschichte gefreut! Was mache ich jetzt ohne Sie in dieser Einöde?«
    Ich bekam wieder dieses Kribbeln. »Professor Lenz sagt, ich sei noch zu schwach.«
    »Sie sind zu schwach, um … spazieren zu gehen?« Fassungslos nahm Jürgen Bruns die Mütze ab, weil ihm offensichtlich heiß geworden war.
    »Na ja, ich bin vor zwei Wochen in Ohnmacht gefallen … « Betreten schaute ich auf den flauschigen rosa Bettvorleger. »Und jetzt muss ich erst mal ein bestimmtes Gewicht erreichen, sagt Professor Lenz. Sonst kann er es nicht verantworten.« Meine Stimme wurde piepsig.
    »Und da rauchen Sie wie ein Schlot!« Jürgen Bruns klopfte mit seinen Lederhandschuhen in die hohle Hand, so als wollte er mich dafür verhauen.
    »Das ist mein einziges Laster, Ehrenwort!« Ich schlug die Augen nieder und versuchte ein schelmisches Grinsen. »Ohne mein Nikotin hätte ich so manche Lebenskrise nicht überstanden.«
    »Sie brauchen etwas ganz anderes als Beruhigungs-Drogen.« Jürgen Bruns machte einen Schritt vorwärts und stand in meinem Zimmer. Sein Blick fiel auf das von mir gebastelte kleine Weihnachtsgesteck.
    »Das ist entzückend! Selbst gemacht?« Er griff mit seinen langen schmalen Fingern danach und drehte es bewundernd hin und her.
    »Also eigentlich … « Ich schluckte trocken. »Eigentlich habe ich es für Sie gemacht.«
    Schon wieder errötete ich verlegen und hatte das dringende Bedürfnis nach einer Zigarette.
    »Für mich?« Verwirrt deutete Jürgen Bruns auf seine Brust. »Wie komme ich denn dazu? Ich meine, für mich hat noch nie jemand was gebastelt, und das hier ist … einfach vollkommen!«
    Ich biss mir auf die Unterlippe. Er musste ja nicht wissen, dass ich es bereits vor seiner Ankunft für meine nächste Zimmernachbarin gemacht hatte, die nun ein Zimmernachbar war.
    »Ich wollte Ihnen eine Freude machen«, sagte ich leise.
    »Das haben Sie, und was für eine!« Jürgen Bruns beugte sich zu mir herunter und streifte mit dem Handrücken meine Wange. »Dann werde ich jetzt mal alleine durch den Wald stapfen. Und dabei an Sie denken.«
    Er drehte sich um und zog die Tür hinter sich zu. Mein Blick irrlichterte zum Tisch. Das Geschenk! Er hatte das Geschenk stehen lassen! Was hatte das zu bedeuten? Hohle Worte? Oder wollte er einen Grund haben, wiederzukommen?
    Ich warf mich rücklings aufs Bett und schloss die Augen.
    Weihnachten in meiner Kindheit: Meine Mutter, fein gemacht, so gut es eben ging, stapfte mit Sieglinde und mir zur Weihnachtsfeier im Kindergarten. Dort kam der Nikolaus, ein furchterregender Mann mit weißem Bart, begleitet von wunderschönen Engeln in weißen Kleidern und mit goldenen Flügeln. Für jeden von uns hatte er ein kleines Geschenk dabei, das er geheimnisvoll aus seinem Sack zog.
    Ich klammerte mich ängstlich an Mutters Rocksaum, bevor ich es wagte, mit gesenktem Blick zwei Schritte vorzutreten und es in Empfang zu nehmen.
    Es war ein liebevoll gebasteltes Gesteck mit einer roten Kerze, und an den kleinen grünen Zweigen waren winzige Holzfigürchen befestigt. Die durfte ich behalten! Es waren meine ersten Spielsachen, und ich fühlte mich wie im Märchen. Wir saßen im Kreis und
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