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Gefangen im Zwielicht

Gefangen im Zwielicht

Titel: Gefangen im Zwielicht
Autoren: Verena Rank
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Mann, so wie ich, und doch schwebte Alexei Grigorescus engelsgleiches Gesicht ständig vor meinem inneren Auge. Ich ging ins Badezimmer, trat ans Waschbecken und blickte in den Spiegel. Das erste Mal in meinem Leben stellte ich mir die Frage, ob ich irgendwie schwul aussah. Was hatte diesen Alexei gestern Abend zu seiner Psycho-Anmache veranlasst? Ich rasierte mich jeden Morgen, trug mein widerspenstiges Haar nicht in einem 0815-Kurzhaarschnitt und benutzte Bodylotion. Mein Körper war nicht übermäßig muskulös, aber bestimmt nicht feminin. War ich deswegen ein potenzielles Zielobjekt für Schwule?
    Ich lachte beinahe hysterisch auf und spannte meine Brustmuskeln an. Egal, ich jedenfalls liebte die Frauen – alles an ihnen. Ihre zarten Körper, ihre makellose Haut … und wie gut sie immer rochen!
    Ich wusch die vielen Fragen in meinem Kopf mit eiskaltem Wasser ab und atmete tief durch.
    Das Penthouse, in dem ich wohnte, lag im siebzehnten Stock eines Hochhauses mit eigenem Swimmingpool. Vater hatte es mir zur bestandenen Abiturprüfung gekauft. Meine Halbschwester Fiona wohnte noch zuhause. Mit sechzehn Jahren befand sie sich auf dem Höhepunkt der Teenagerzickenphase. Sie war eine liebenswerte Zicke. Anstrengend, aber liebenswert. Wie die meisten Mädchen in diesem Alter verliebte sie sich ständig in einen neuen, noch cooleren Jungen und verbrachte Stunden im Badezimmer.
    Ich saß abends gerne auf meiner Dachterrasse und blickte über die Lichter der Großstadt. Frei wie ein Vogel genoss ich die Aussicht auf mein geliebtes Berlin. Ich war hier geboren, viele Erinnerungen verbanden mich mit dieser Stadt. Hier hatte ich meine Kindheit verbracht und hier fand Vater nach vier Jahren der Einsamkeit sein zweites, großes Glück. Mutter war bei einem Unfall gestorben, da war ich gerade mal vier Jahre alt gewesen. Vater lebte damals nur für seine Arbeit und hatte irgendwann in seiner Einsamkeit zu trinken angefangen, um zu vergessen. Ich erinnerte mich an viele traurige Momente.
    Und dann, eines Tages, kam Ines und brachte die Sonne zurück in unser Leben. Ich war acht, als er die Psychologin beim Verkauf einer Immobilie kennen gelernt hatte. Vater kam mehr als gut gelaunt nach Hause und lud mich ins Kino ein. Von da an wusste ich, dass sich alles verändern würde. Zwei Jahre später wurde Fiona geboren und wir waren eine glückliche, kleine Familie. Ines war es auch, die mir die Angst vor meinen mentalen Fähigkeiten genommen hatte und mir zeigte, wie ich damit umgehen und sie steuern konnte.
     
     
    Ich richtete den Knoten meiner Krawatte und trat durch die verglaste Schwingtür in die Empfangshalle unserer Firma.
    „Guten Morgen, Leon. Ihr Vater ist bereits in seinem Büro und wartet auf Sie.“ Frau Gröbner trug wieder diese aufwendige Hochsteckfrisur, die sie den ganzen Tag über auf ihren perfekten Sitz überprüfte und war gerade dabei, sich Kaffee einzugießen. Sie war die gute Seele der Firma und arbeitete schon so lange für Vater, dass ich mich nicht mehr an die Zeit erinnern konnte, als sie noch nicht da gewesen war. Ich legte meine Aktentasche auf der Theke ab.
    „Ich geh gleich zu ihm. Steht irgendwas Besonderes an?“
    Sie stellte die Kaffeetasse ab, nahm einen Papierstapel von der Ablage und reichte ihn mir.
    „Das sind die Baupläne für das Kaufhaus-Projekt. Ansonsten wollte Herr Brückner sich noch mal wegen der Wohnanlage in der Leipziger Strasse melden und Ihr Vater hat am Nachmittag diesen Termin bei Kellermann.“ Sie setzte sich und tippte etwas auf der Tastatur des Computers. „Ach ja und Dr. Mertens hat angerufen. Er ist morgen um zwölf Uhr im Plaza.“
    „Ah gut, wir hatten in letzter Zeit selten Gelegenheit zusammen zu essen.“
    Frau Gröbner nickte lächelnd. Tom Mertens war seit der Grundschule mein bester Freund. Die Praxis, in der er als Zahnarzt arbeitete, befand sich nicht weit von unserer Firma.
    „Und ich habe die Einladungskarten für die Wohltätigkeitsveranstaltung fertig gemacht. Möchten Sie sie sehen?“
    „Später. Ich nehme sie heute Mittag gleich mit zur Post. Und würden Sie uns bitte Kaffee bringen?“ Ich klemmte mir den Papierstapel unter den Arm und griff nach meiner Tasche.
    „Natürlich, ich bring Ihnen sofort zwei Tassen.“
     
    Vater saß an seinem Schreibtisch und blätterte in einem Ordner. Als ich eintrat, sah er auf und musterte mich über die Gläser seiner Lesebrille.
    „Guten Morgen, Leon. Na, gut geschlafen?“
    Ja, wunderbar. Ich hab von
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