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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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unbeträchtlichen Teil der Platten- und Kassettensammlung des Hauses.
    Der Teil des Raumes, in dem ich stand, war bestimmt durch Kontraste. Die meisten Möbel waren alt, in einer Art nachgeahmtem Rokoko, mit verzierten Beinen und bezogen mit einem glatten Stoff mit braungrünem Muster. Zwei moderne, schwarze Ledersessel, zwei einfache, mit Sackleinen bezogene Stühle und ein Sprossenstuhl in Kindergröße vervollständigten und verstärkten den Eindruck von fehlender Linie.
    In der traditionellen 60er-Jahre-Schrankwand standen Radio, Plattenspieler, Kassetten- und CD-Rekorder, und mitten im Raum stand ein Fernsehapparat mit einem Videorekorder zwischen den Beinen. Neben dem o-beinigen Rokokosofa stand ein überfüllter Zeitungsständer, und überall wo Platz war, in der Schrankwand, auf Tischen, Boden und Regalen, lagen Haufen von Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Notenblättern. Über den Teppich verstreut lagen Legosteine, Puppen, Playmobilfiguren, Zeichenblocks und Buntstifte und verbreiteten das gemütlichste Chaos, das ich seit meiner Scheidung erlebt hatte.
    Auch an den Wänden war die Mischung von Stil und Inhalten deutlich. Kruzifixe und Ikonen hingen Seite an Seite mit Grafiken von ElliTrestegård und Ingri Egeberg, einem Aquarell von Oddvar Torsheim und einem Landschaftsbild von Hardanger. Irgendein Straßenkünstler hatte die drei Kinder zu unterschiedlichen Zeiten ihres kurzen Lebens gezeichnet. Alle drei sahen genauso aus, wie Kinder auf solchen Zeichnungen immer aussehen: wie Touristen im Dasein, bevor das Visum abläuft.
    Das älteste Kind hatte helleres Haar als Jakob, aber die gleichen runden Gesichtszüge, die er gehabt hatte. Ihr Blick war blau und unsicher, der jugendliche Mund rosa geschminkt, und sie errötete charmant, als der Vater sagte: »Das hier ist Varg, Maria. Er ist ein alter Klassenkamerad von mir.«
    Sie gab mir eine tote Hand und murmelte undeutlich irgend etwas. Dann beeilte sie sich, wieder in ihr Zimmer zu kommen, in ihren grauen Jeans und dem rosa Pulli.
    »Sie hat eine Verabredung«, sagte Jakob unbeholfen, als hätte er sich immer noch nicht daran gewöhnt, daß seine Tochter Verabredungen hatte, die sich seiner Kontrolle entzogen. »Also holen wir Grete im Kinderhort ab und fahren sie raus zu Åse. Ich rufe eben an und frag’, ob es in Ordnung geht. – Petter kommt allein zurecht, wenn er nach Hause kommt. Ich schreib’ ihm einen Zettel.«
    Er sah sich um, schob mit einem Fuß einen Haufen Zeitungen zur Seite, gab es auf, einen besseren Eindruck zu schaffen, und ging telefonieren.
    Åse?
    Ich versuchte, mich an seine Schwester zu erinnern, aber ich wußte kaum noch, daß er überhaupt eine Schwester hatte.
    Während er telefonierte, nahm ich eine Zeitschrift und blätterte darin. Es war eine dieser literarischen Zeitschriften, bei denen man ziemlich kariert denken können muß, um sich im Layout zurechtzufinden, und eigentlich Doktor in Semiotik sein muß, um überhaupt ein Wort zu verstehen. Ich sah mir die Bilder an.
    Er erschien wieder in der Türöffnung, mit einer Plastiktüte in der Hand. »Es geht in Ordnung. Wollen wir los?« In den Flur hinein rief er: »Tschüß, Maria!« Aber die einzige Antwort kam von A-ha. Er zuckte mit den Schultern und lotste mich wieder zur Tür hinaus. »Bälger«, murmelte er.
    Wir holten seine Kleinste im Kinderhort an der Johanniskirche ab. Sie trug eine dunkelrote Regenkombination, mit langen, gelben Manschetten als Schutz gegen Regenwasser an den Armen, und blau-weiße Gummistiefel. Sie hatte rotgefleckte Wangen, und aus beiden Nasenlöchern lief Stachelbeergelee. Zwei Vorderzähne fehlten, als sie uns entgegenlachte.
    Ihre Geniertheit war anders als die ihrer Schwester. Sie errötete nicht, sondern beobachtete mich mit schrägem Blick den ganzen Weg vom Tor bis zum Wagen. An einer Hand hatte sie einen blauen Plastikeimer, dessen Henkel an einer Seite abgerissen war. Mit der anderen Hand hielt sie den nassesten Teddybären, den ich je gesehen hatte. »Den läßt sie nicht eine Sekunde allein«, murmelte Jakob. »Ich muß ihn waschen, wenn sie schläft, sonst würde sie darauf bestehen, mit ihm in die Schleuder zu kriechen.«
    Jakobs Schwester wohnte in einer Seitenstraße des Nye Sandviksvei, mit einem Mann, der auf einer Bohrinsel arbeitete und einem Bernhardiner, der aussah, als sei er mindestens hundert Jahre alt. Er hob kaum ein Augenlid, als wir auf der Treppe an ihm vorbeigingen. »Åse hat keine eigenen Kinder«, sagte
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