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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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Beerdigungsgäste entgegen. Der Schneeregen landete wie farbloses Konfetti auf unseren Schultern.
    Selbst Paul Finckels laute Sarkasmen waren zu Nichts zusammengeschrumpft. »Will jemand von euch mit in die Stadt fahren?«
    »Ich bin selbst mit dem Auto da«, sagte ich.
    »Warum gehen wir nicht noch zusammen ein Bier trinken, alle drei? Ich muß nur noch kurz in der Redaktion vorbei.« Finckel sah Jakob an.
    »Ja, warum nicht. Ich muß nur erst nach Hause und mich um die Kinder kümmern.«
    »Wo wohnst du?«
    »Nygårdshoyden.«
    Ich sah Finckel an. »Dann fahr’ ich Jakob da runter. Wo wollen wir uns treffen?«
    »Eventuell müssen wir meine Kleinste zu meiner Schwester rausfahren«, sagte Jakob. »Sie wohnt in Sandviken.«
    »Ruft mich an, wenn ihr soweit seid«, sagte Finckel. »Ich bin in der Redaktion. Ziemlich zentral, was alle aktuellen Kneipen angeht.«
    »Deswegen arbeitet er da«, fügte ich hinzu.
    »Das ist bestimmt nicht der schlechteste Grund«, sagte Finckel, grunzte kurz zum Abschied und ging.
    Wir folgten, hinunter zum Parkplatz.
     
    Wir fuhren stumm von Mollendal weg, überquerten die Gamle Nygårdsbrücke und fuhren die verbotene Linkskurve, zu der das neue Verkehrsmuster einen fast einlud, in Richtung Marineholm, auf die Südseite des Nygårdsparks.
    Jakob erklärte, wo er wohnte. In der Mitte zwischen Johanneskirke und dem Sydnæs Bataljon. Der Lärmpegel stieg dort im Frühjahr beträchtlich, wenn die Osterwoche begann, mit Glockenläuten zu allen Zeiten und Unzeiten, und das Schützenkorps nicht nur dienstags sondern auch samstags exerzierte.
    »Wie viele Kinder hast du?« fragte ich, als wir am Fußballstadion in Mohlenpris vorbeifuhren.
    »Drei«, antwortete er. »Obwohl – Kinder … Maria ist sechzehn. Dann Petter, der ist vierzehn, und die kleine Grete ist sechs. Sie ist das Problem. Wenn Maria nicht ein paar Stunden auf sie aufpassen kann.«
    Als wir oben in den Olav Ryes vei einbogen, sagte er: »Meine Frau ist – ausgezogen.«
    Ich nickte stumm.
    Das Haus, in dem er wohnte, lag mitten im Viertel. Es war aus rotem Backstein und lag der Schattenseite der Straße zugewandt. Jakob wohnte im ersten Stock, wo ehemals zwei Wohnungen jetzt zu einer erweitert worden waren. Halb oben angekommen, mitten im dunklen Treppenhaus blieb er stehen, die eine Hand auf dem Geländer, drehte sich halb zu mir herum und sagte, auf seine nachdenkliche Art: »Wie hältst du es mit Jesus, Varg?«
    Die Frage kam völlig unerwartet, und ich fühlte mich wie eine Schildkröte, die jemand auf den Rücken gedreht hat, vollkommen schutzlos. Ich murmelte: »Na ja, ich … Warum fragst du? Seid ihr verwandt?«
    Er betrachtete mich forschend. Dann lächelte er mild. »Es ist eigenartig. Sich nach so langer Zeit wiederzutreffen. Es ist so viel passiert, nicht wahr?«
    Ich nickte. Es war so viel passiert.
    Dann ging er weiter. Er klingelte, schloß gleichzeitig auf und hielt mir die Tür auf.
    Wir kamen in einen langen, dunklen Flur. Am Boden stand eine offene Schultasche aus hellbraunem Leder. Schuhe und Stiefel lagen verstreut herum, und auf einem Stuhl lagen übereinander vier oder fünf Jacken von verschiedener Form und Größe. Auf einer kleinen Kommode erkannte ich mit Mühe ein altmodisches, schwarzes Telefon unter einem Haufen von Broschüren, Wurfsendungen und kostenlosen Zeitungen. Von irgendwo aus der Nähe dröhnten monotone Discorhythmen.
    Die Tür zur blaugestrichenen Küche stand offen. Teller, Tassen, Gläser und die Reste vom Frühstück standen noch immer auf den Tisch, und ein etwas fader Geruch von ranzigem Fett und alten Mohrrüben kam uns entgegen.
    Jakob schloß die Tür zur Küche und öffnete eine andere, zum Wohnzimmer, und die Popmusik wurde lauter. »Komm rein, Varg.« Dann rief er: »Maria! Bist du da?«
    Nach einer tauben Moment ging weiter rechts im Flur eine Tür, und die Popmusik wurde lauter. »Was ist?« tönte eine Jungmädchenstimme.
    Jakobs Stimme ertrank immer mehr in der Musik, je weiter er im Flur verschwand. Ich sah mich in dem großen Wohnzimmer um. Es war L-förmig, weil sie zwei Räume verbunden und eine Wand durch eine große, weiße Schiebetür ersetzt hatten. Im hinteren Teil des Raumes stand auf dem abgebeiztem Holzboden ein schwarzer Flügel, umgeben von Flickenteppichen, und an den Wänden drumherum hingen schwarz-weiße Grafiken. An einer Wand standen nur Regale mit Büchern und Notenheften, und hinter einer offenen Schranktür erkannte ich vage einen nicht
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