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Gefährtin Der Finsternis

Titel: Gefährtin Der Finsternis
Autoren: Lucy Blue
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heller, wobei der Stein zu etwas wurde, das wie Eis aussah, erst weiß, dann durchscheinend, ein mit Reif bedecktes Fenster zu einer anderen Welt. Zuerst dachte Simon, er sähe die Fackeln, die er berühren konnte, in der glänzenden Oberfläche reflektiert, aber dann erkannte er, dass dem nicht so war, dass der Kreis sich auf der anderen Seite fortsetzte. Die Eiswand wurde noch klarer, und er konnte unmittelbar gegenüber der Stelle, an der Isabel angebunden war, einen Altar sehen, einen hohen Steintisch, der in der Mitte mit einem goldenen Tuch bedeckt war. Die andere Seite war keine Höhle, sondern ein Hain, ein schimmernder Wald im Tageslicht, und sein Herz vollführte bei dem Anblick, trotz allem, einen Satz – angesichts einer Sonne, die ihn akzeptieren, und eines Lichts, das nicht in seinen Augen brennen würde. In der Mitte des Altars stand ein einzelner Pokal.
    »Der Kelch«, murmelte Orlando neben ihm ehrfürchtig. »Es ist der Kelch.«
    »Dies ist das Geburtsrecht, das ich Euch anbieten möchte, mein Sohn«, sagte Kivar. »Dies ist das Reich, das ich Euch zu regieren gäbe.« Isabels Herz wurde schwächer. Simon konnte es hören. Sie starb. Er hatte keine Zeit für Trancen und Träume.
    »Lasst sie los!«, rief er und wandte sich von der Vision vor ihm ab.
    »Lasst sie leben«, antwortete Kivar. »Nicht als dieses Tier, das mit der Zeit verwesen wird, diese Nahrung für Würmer und die Aaskrähe, sondern als eine Göttin.« Seine Augen waren zerstört, aber er wandte sich Simon zu, als könnte er ihn noch immer sehen, eine skelettartige Hand sanft in Isabels rotem Haar verfangen. »Geht hin, und nehmt den Kelch, benutzt ihn, wie ich es Euch anweisen werde, und wir werden eins sein. Zusammen werden wir sie retten. Wir werden sie zu einer Königin machen.«
    »Nein«, warnte Orlando. »Er lügt.«
    »Ruhe!« Kivar wandte seinen Körper der Stimme des Zauberers zu, aber als Orlando einen Schritt beiseitetrat, reagierte er nicht. Er sah ihn nicht.
    »Warum sollte ich den Kelch mit Euch teilen?«, antwortete Simon und trat lautlos einen Schritt näher. »Warum sollte ich ihn nicht für mich selbst nutzen und wieder ein Sterblicher werden, wie ich es immer gewollt habe? Selbst wenn Ihr mich danach tötet, werde ich gnädig sterben.«
    Kivar lächelte, zeigte seine Vampirzähne in dem verrotteten Mund des toten Mönchs. »Weil Euer kleines Lamm dann auch sterben muss.«
    »Sie stirbt bereits.« Er trat noch näher. »Dessen habt Ihr Euch versichert.« Er hob den Pfahl an, und Orlandos Augen weiteten sich, aber Kivar reagierte nicht. »Warum sollten wir nicht zusammen sterben?«
    »Weil Ihr kein Märtyrer seid, Simon«, sagte Kivar. »Ihr seid kein Ritter, sonst wärt Ihr jetzt nicht hier.« Er lächelte erneut, und sein verbliebenes Auge glühte wie Feuer, blutrot, aber blind. Als Simon zurückblickte, konnte er durch den Eisschleier, der jetzt so dünn war, dass er durchsichtig wirkte, den Kelch sehen. Noch ein Moment, und er wäre fort. Der Kelch könnte ihm gehören.
    Aber er sah Isabel vor sich, die sterbliche Unschuld, die ihr Blut vergossen hatte, um ihn zu retten, die Frau, die er liebte. Sie sank zwischen den Obelisken zusammen, hing nun in ihren Fesseln, von ihrem eigenen Blut durchtränkt, zu schwach, um stehen zu können. Aber ihre Augen waren lebendig. Sie konnte ihn sehen und ihr Mund formte lautlos ein Nein.
    »Ihr werdet ein Gott sein«, sagte Kivar. »Ihr werdet mein Sohn sein.«
    »Gott ist im Himmel«, antwortete Simon und trieb dem Dämon den Pfahl ins Herz. »Und mein Vater ist bei ihm.«
    Kivar stieß einen einzigen Schrei aus. Das Skelett, das er in Besitz genommen hatte, richtete sich taumelnd auf und explodierte im nächsten Augenblick zu Staub. Während Simon zurückwich, sah er ihn nicht, wie er ihn im Palast des Kalifen gekannt hatte, sondern so, wie er zuvor gewesen sein musste, als junger Mann mit grünen Augen und glänzendem, rotem Haar, das Isabels so sehr ähnelte, dass er ihr Bruder hätte sein können. Die geisterhafte Gestalt blickte entsetzt abwärts und wandte sich dann dem Kelch zu, während der Schleier aus Eis wieder dichter und weißer wurde. »Nein!«, brüllte er, und der Klang hallte in der Höhle wider, während er voranstürzte und seine Gestalt sich im Lauf auflöste. Er erreichte den Schleier, unmittelbar bevor er vollständig verschwand, und hielt auf den dahinterliegenden Wald zu. Die Wand explodierte in einhunderttausend Eisscherben, die wie Steine zu Boden
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