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Gefährliches Spiel der Versuchung

Gefährliches Spiel der Versuchung

Titel: Gefährliches Spiel der Versuchung
Autoren: Andrea Pickens
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den verzierten Globus zu zeigen. Und als das runde Ding sich nach einem Schubs um die eigene Achse drehte, war Shannon befohlen worden, sich einen Namen aus den tausenden Städten auszusuchen, die die runde Oberfläche sprenkelten.
    Einen neuen Namen für die neue Welt, in die einzutreten sie im Begriff war ...
    Aus der Ferne betrachtet unterschied sich Mrs. Merlins Academy for Select Young Ladies nicht von anderen Internaten: Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die hochwohlgeborenen Töchter der englischen Aristokratie zu jenen Diamanten zu schleifen, die anschließend in den Salons glitzerten. Auch hier in der ländlichen Gegend, in den ordentlichen Backsteingebäuden, die geschützt hinter hohen efeubedeckten Mauern lagen, fand solcher Unterricht statt. Der äußere Anschein jedoch war trügerisch. Tatsächlich bestand zwischen der Academy und anderen Einrichtungen ein Unterschied ... wie Tag und Nacht.
    Shannon schloss die Hände fester um die Zügel. Denn die Schülerinnen waren keine verwöhnten jungen Damen, die auf Empfehlung ihrer Ahnentafel und auf Rechnung der Geldbörse ihrer Familien im Hause lebten; sie waren verwaiste Straßenkinder aus den Gassen um Southwark und St. Giles, handverlesen vom Marquis of Lynsley.
    Verwundert hatte Shannon sich gefragt, was er wohl in ihr gesehen haben mochte. Eine verbissene Zähigkeit, die sich weigerte, vor den grimmigen Tatsachen des Lebens im Armenviertel in die Knie zu gehen? Schon als kleines Kind war sie im Umgang mit der Klinge ungeheuer geschickt gewesen.
    Mit geballten Fäusten und einer ungeheuren Wut im Bauch hatte sie sich ihren Weg an die Spitze der Klasse erkämpft. Anders als in den üblichen Mädchenpensionaten bestand der Lehrplan der Academy nicht darin, seine Schülerinnen in rosarotes Licht zu tauchen, sondern vielmehr darin, sie in das Herz der Dunkelheit zu stoßen. Selbstredend gab es auch Lehrkräfte für Tanz, Etikette und all die anderen gesellschaftlichen Umgangsformen. Aber während andere Mädchen sich in die Kunst der Tuschemalerei vertieften, studierten die Zöglinge der Academy die Kunst des Krieges. Denn sie waren nichts anderes als Englands ultimative Geheimwaffe, entsandt von Lord Lynsley, um die schwierigsten und gefährlichsten Aufgaben zu erledigen. In den Meisterklassen unterlagen sie strengem Unterricht in den klassischen Kriegskünsten Fechten, Schießen und Reiten, zusammen mit den eher exotischen östlichen Disziplinen wie Selbstverteidigung und Yoga.
    Wenn ich den Lektionen in Selbstbeherrschung doch nur ein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte ... Es war so viel einfacher, sich Hals über Kopf in den Trubel zu stürzen, als ein paar Sekunden innezuhalten.
    Shannon blinzelte sich die feuchten Tröpfchen von den Wimpern und zwang das Kinn nach oben. Nein, auf keinen Fall wollte sie sich dem Selbstmitleid ergeben. Disziplin, Pflicht und eine leidenschaftslose Distanz zu Gefühlsausbrüchen - das waren die Gesetze, auf die Merlins Zöglinge einen Schwur abgelegt hatten. Falls es dazu kam, dass ihre Vorgesetzten sie des Namens für unwürdig hielten, würde sie das Haus hoch erhobenen Hauptes verlassen.
    Die Missachtung von Befehlen zählte zu den ernsten Verstößen. Dabei verstand es sich, dass ein Merlin auf sich selbst gestellt war, wenn er auf eine Mission geschickt wurde. Aber als Shannon erfahren hatte, dass ein mörderischer Verräter ihre Zimmergenossin in die Falle gelockt hatte und dass sie in höchster Gefahr schwebte, war sie bei Nacht und Nebel aus der Academy geflüchtet, um ihre Freundin zu retten.
    Sie hatte den Geist, wenn nicht sogar den Buchstaben des Gesetzes verletzt. Und doch konnte sie nicht ernsthaft behaupten, dass sie es bedauerte. In ihrem Beruf gab es keine Gesetze. Also hatte sie ihrem Herzen gehorcht - mehr als dem Handbuch, das jede Schülerin auswendig zu lernen hatte.
    Richtig und falsch. Disziplin und Pflicht. Dass ihr Eingreifen geholfen hatte, den gefährlichen Verräter zur Strecke zu bringen, trug nach Auffassung der Direktorin nichts dazu bei, die Schwere des Verstoßes zu lindern.
    Allerdings stellte auch niemand ihren Mut infrage, geschweige denn ihren Charakter.
    »Soll ich den Hengst für Sie abreiben, Shannon?«
    Abrupt aus den Grübeleien gerissen schüttelte sie den Kopf. »Nein, vielen Dank, Jem. Ich werde mich darum kümmern, dass Ajax seinen Hafer bekommt, bevor ich mich selbst zum Abendbrot an den Tisch setze.« Sie tätschelte den schlanken Hals des Tieres, während sie
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