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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille
Autoren: Marcia Muller
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überhaupt nicht auf die Idee gekommen. Außerdem wollte ich an die genetische
Erklärung glauben.«
    »Warum?«
    »Weil ich dich lieb habe, Dummerchen.
Ich wollte, dass du meine leibliche Schwester bist.«
    »...Ich hab dich auch lieb.« Ich legte
zaghaft die Hand auf seinen Arm, drückte ihn. »Okay — glaubst du, die
Verwandtschaft hat es gewusst?«
    »Wenn ja, hat nie jemand in meiner
Gegenwart was davon gesagt — und du weißt doch, wie schwer es diesem Haufen
fiel, den Mund zu halten.«
    »Aber sie müssen es doch gewusst haben.
Sie waren doch dauernd da: Tante Clarisse und Onkel Ed, Großtante Fenella,
Grandpa, Onkel Jim und Tante Susan. Sogar Urgroßmama, ein paar Jahre noch. Sie
müssen doch mitgekriegt haben, dass Ma nicht schwanger war.«
    Im Dunkeln spürte ich, wie er die
Achseln zuckte.
    »Was weißt du über die neun Monate vor
meiner Geburt? War Pa da in den Staaten oder in Übersee?« In seiner Navy-Zeit
war er über lange Strecken im Pazifik stationiert gewesen.
    »Ich glaube — aber natürlich, das
könnte es erklären. Den größten Teil der Zeit, die Ma mit dir hätte schwanger
sein müssen, war Pa auf den Philippinen. Und Mas Mutter ging es schlecht — sie
starb Anfang des folgenden Jahres — , deshalb war sie viel bei Grandma, oben in
San Luis Obispo. Joey und ich waren bei Ed und Clarisse — kein
Zuckerschlecken.« Unsere Tante Clarisse — die Frau von Mas Bruder — hatte
Kinder gehasst und diesen Hass in Gestalt kleiner sadistischer Quälereien an
uns ausgelassen.
    »Joey und ich, wir haben Ma kaum
gesehen«, fuhr John fort, »und der Verwandtschaft ging’s genauso. Als Pa zwei Wochen
vor deiner Geburt zurückkam, hat er gesagt, Ma habe Probleme mit der
Schwangerschaft und ob Ed und Clarisse uns noch behalten könnten, bis ihr beide
aus dem Krankenhaus kämt.«
    Also war das Ganze sorgsam und wohl
überlegt inszeniert worden. Eine kunstvoll konstruierte Lüge. Aber auch die
perfekteste Lüge hat ihren Schwachpunkt, wenn man nur gründlich genug danach
sucht.
    »John, Tante Susan und Onkel Jim wohnen
doch noch in Jackson?«
    »Ja. Er hat immer noch die Bowlingbahn —
ach, nein, heutzutage nennt man das ja Bowling-Center. Warum?«
    »Nur so.«
    »Ach. Shar, was hast du vor?«
    Ich antwortete nicht.
    »Verdammt, du willst Nachforschungen
anstellen.«
    »Das ist nun mal mein Metier.«
    »Ja, aber für Klienten. Für Geld. Du
kannst doch nicht...«
    »Wieso nicht? Ist schließlich was
anderes, als wenn ich Ärztin wäre und an mir selbst eine Gehirnoperation
vornehmen wollte.«
    »Aber was ist, wenn...?«
    »Wenn was?«
    »Na ja, wenn du irgendwas Unangenehmes
rausfindest? Oder gar was richtig Hässliches? Es muss doch einen Grund dafür
geben, dass Ma und Pa deine Adoption geheim gehalten haben.«
    »Wenn das passiert, werde ich damit
fertig.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Sicher bin ich mir nur, dass es nichts
Schlimmeres gibt, als nicht zu wissen, wer man ist und wo man herkommt.«
    »Aber du weißt doch, wer du bist.«
    »Offensichtlich weiß ich längst nicht
so viel, wie ich dachte.«
    Wir saßen schweigend da, und irgendwann
kamen die Sterne hervor und die Yucca-Palmen begannen sich klarer abzuzeichnen.
John sagte als Erster etwas.
    »Versprich mir eins.«
    »Was?«
    »Versprich — Hand aufs Herz, und wehe,
du lügst, dann soll dich der Geist der grässlichen Clarisse verfolgen und
peinigen — , versprich mir, dass du, egal, was du rausfindest, immer meine
Schwester sein wirst.«
    Ich guckte ihm in die Augen, sah Liebe,
überschattet von Angst. Er war mein Bruder, kein Zweifel.
    »Versprochen.« Und ich legte die Hand
aufs Herz, wie ich es so oft getan hatte, als wir Kinder gewesen waren.
     
     
     
     

13 Uhr 30
     
    »McCone, ich versuche schon die ganze
Zeit, dich zu erreichen. Stellst du dein Handy nie an?«
    »Ging nicht. Ich bin eben aus dem
Flieger von San Diego hierher gestiegen. Bin noch in Oakland. Hör zu, Ripinsky,
hast du vor, in den nächsten zwei Tagen das Flugzeug zu benutzen?«
    »Glaube nicht. Warum?«
    »Ich brauch’s, wenigstens bis morgen.«
    »Moment mal. Wann kommst du wieder ins
Büro?«
    »Wie läuft’s denn?«
    »Hektisch. Ich habe das Gefühl, ich
schaffe es kaum, den Laden zusammenzuhalten. Herrgott, Ted macht das besser als
ich.«
    »Dann lass ihn machen.«
    »Sieht dir gar nicht ähnlich...«
    »Hör mal, wenn du nicht willst, dass ich
die Maschine nehme, dann sag’s!«
    Schweigen.
    Ich sagte: »Ich habe es so verstanden,
dass das unser Flugzeug
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