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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille
Autoren: Marcia Muller
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zu werden, sobald die 170B verkauft war.
    Tja, gab die Frau zu, manche Leute
lernen eben nie dazu. Wir einigten uns und besiegelten den Handel mit einem
Handschlag, noch ehe der Motor der Zwo-fünf-zwo-sieben-Tango abgekühlt war.
    Jetzt erfüllte mich jedes Mal, wenn ich
zum Flugfeld kam und die Cessna dort stehen sah, ein mächtiger Stolz — die
liebende Mama, voller Bewunderung für ihren Sprössling. Sah mir ähnlich, ein
Flugzeug statt eines Kindes zu haben.
    Ein Glück allerdings, dass ich keine
Kinder in die Welt gesetzt hatte. Wer konnte schon wissen, welche Gene ich
weitergegeben hätte?
    Ich verstaute meine Sachen hinten,
machte die Flugvorbereitungschecks, und bald schon war ich in der Luft und
hielt mich an die Anweisung des Towers, nach rechts aus der Platzrunde
auszufliegen und dem Nimitz Freeway zu folgen. Sobald der Platzlotse den
Funkkontakt beendet hatte, ging ich auf Nordostkurs in Richtung Amador County
Airport. Unter mir lagen die mäandernden Wasserläufe und bizarr geformten
Inseln des Sacramento-Deltas, dann das weite, flache, kreuz und quer von
Sträßchen und Feldwegen durchzogene Tal. Ich registrierte Bodenmerkmale, um
Kurs zu halten, ignorierte aber ansonsten die Szenerie, da ich ganz von meinen
Gedanken und Gefühlen absorbiert war.
    Normalerweise überkommt mich, sobald
ich in der Luft bin, ein immenses Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung;
niemand konnte hier oben irgendwelche Ansprüche an mich stellen, kein Problem
dort unten auf der Erde war so gigantisch, dass es mir aus dieser Höhe nicht
bewältigbar erschienen wäre. Heute hingegen fühlte ich mich als Gefangene einer
unentrinnbaren Situation. Ich flog lustlos und zaghaft, ärgerte mich über den
heftigen Gegenwind, der mich Geschwindigkeit kostete.
    Blöd, mich von einem Stück Papier aus
der Bahn werfen zu lassen. Blöd, mich wegen anderer Leute Lügen selbst als
falscher Fuffziger zu fühlen.
    Saublöd.
     
     
     
     

16 Uhr 10
     
    Jackson schmiegte sich in die Vorberge
der Sierra Nevada, das alte Motherlode-Goldminenland. Das einstige
Goldgräberstädtchen, mit historischem Zentrum und den Anfängen wuchernder
Stadtrandsiedlungen, flankierten im Westen weizenfarbenes, mit Eichen und Madroñas
gesprenkeltes Weideland und im Osten bewaldete Hügel. Während ich meinen
Mietwagen auf der Route 49 südwärts lenkte, warnten überall am Straßenrand
Schilder vor erhöhter Brandgefahr.
    Mein Onkel Jim war nicht im
Bowling-Center am Südostrand der Stadt gewesen — er mache heute frei, sagte die
Aufsicht. Also fuhr ich weiter in die waldige Landschaft hinein, zu der kleinen
Ranch, die er und Tante Susan gekauft hatten, nachdem er seine Profi-Karriere
beendet und die Bowlingbahn aufgemacht hatte. Die Ranch lag etwa drei Meilen
abseits des Highways. Das Land war mit Westernzäunen umfriedet, und eine lange
geschotterte Zufahrt führte, vorbei an weidendem Vieh, zu dem Redwood- und
Feldstein-Haus. Vom Dachvorsprung hängende Kolibri-Nektarspender funkelten in
der Nachmittagssonne. Ich blieb erst mal im Wagen sitzen und betrachtete das
Spiel des Lichts.
    Jim und Susan waren immer schon meine
Lieblingsverwandten gewesen: unkompliziert, humorvoll, voller Verständnis für
uns, die Heranwachsenden, obwohl sie selbst keine Kinder hatten. Doch auf dem
Flug hierher hatte ich mich zu fragen begonnen, ob da nicht ein Hauch von
Herablassung — vielleicht sogar Mitleid — in ihrem Verhalten mir gegenüber
gewesen war. Schließlich war ich nicht wirklich mit ihnen verwandt, stammte
vermutlich aus dubiosen Verhältnissen. Und dann hatte ich Angst bekommen, der
Versuch, sie zur Rede zu stellen, könnte genauso unangenehm verlaufen wie bei
Ma. Und zuletzt hatte ich mir gesagt, dass ich dabei war, eine ausgewachsene
Paranoia zu entwickeln.
    Schließlich atmete ich tief durch,
stieg aus, ging zum Haus und klingelte.
    Kurz darauf öffnete sich die Tür, und
heraus guckte Jims rotwangiges Gesicht, so ähnlich dem meines Vaters in
jüngeren Jahren, dass es mir einen Stich versetzte. Er musterte mich mit einer
gewissen Besorgnis, schien dann aber erleichtert und sagte: »Wir haben dich
schon erwartet.«
    »Ach? Wieso...«
    »Katie — Pardon, Kay — hat angerufen.
Bitte, komm rein. Suzy und ich waren gerade dabei, uns ein Bierchen auf der
Terrasse zu gönnen. Haben den ganzen Tag Blumenzwiebeln gesteckt, und für zwei
alte Leutchen wie uns ist das Arbeit genug.«
    Ich blieb stehen, geschockt, weil Ma
mir zuvorgekommen war. Sie hatte sie
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