Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
über den Kamm eines Hügels fuhren, erlosch das Licht am Horizont plötzlich. Nach einem solchen Brand würden sehr wenig forensisch verwertbare Spuren zu sichern sein.
    Ich fragte Fiona, ob ich fahren sollte. Sie schüttelte wortlos den Kopf. Ich versuchte, auf andere Weise eine Unterhaltung in Gang zu bringen, aber sie antwortete jedesmal einsilbig. Das Fahren auf der Autobahn gab ihr in dieser Nacht etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte. Sie war entschlossen, nicht an das zu denken, was sie getan hatte, und nicht in der Stimmung, zu besprechen, was wir zu tun hatten.
    Mein Arm schmerzte. Ich berührte ihn und fühlte meinen Ärmel klebrig von Blut. Eine der Kugeln war mir näher gekommen, als ich zunächst gemerkt hatte. Es war keine richtige Wunde, nur eine lange, schlimme Schramme mit enormer Prellung, wie Streifschüsse sie verursachen. Ich faltete ein Taschentuch und drückte es gegen meinen Arm, um die Blutung zu stillen. Es war keine Verletzung, deretwegen ich mich würde ins Krankenhaus legen müssen, aber sie war mehr als hinreichend, mir den Anzug zu versauen.
    »Bist du in Ordnung?« Es war keine Zärtlichkeit in ihrer Stimme. Sie war ebenso mahnend wie besorgt, die Stimme einer Lehrerin, die eine Kinderschar über eine verkehrsreiche Straße geleitet.
    »Ich bin in Ordnung.« Wir hätten reden sollen, uns umarmen, miteinander lachen und uns lieben. Wir waren wieder zusammen, und sie kam nach Hause zu mir und den Kindern. Aber so war es nicht. Wir waren nicht mehr das sorglose Paar, das sein Konto überzog, um in die Flitterwochen

    - 324 -
    zu fahren, und auf dem Standesamt hysterisch beschwipst war von einer unter vier Leuten geteilten halben Flasche Champagner. Wir saßen schweigend in der Dunkelheit. Wir beobachteten den auf Berlin zukriechenden Verkehr und hörten die Porsches an uns vorbeikreischen. Und ich vertröpfelte Blut, und die unausgesprochenen Träume, die Ehen in Gang halten, verbluteten auch. Der Regen hörte auf, oder vielleicht fuhren wir aus ihm hinaus. Ich schaltete das Autoradio an. Da gab es arabisches Gebrabbel, die deutschen Nachrichten von Radio Moskau und dann den starken deutschen Sender, der während der Nacht praktisch die ganze mitteleuropäische Opposition mundtot macht. Ein großes, schmalziges Orchester: »Ach, mach dir doch vor, daß ich dich liebe. Ach, mach dir doch vor, daß du mich liebst …« Hinter uns erhellte und färbte sich allmählich ein Streifen Himmel, bis er eine gequetschte Masse von lila-violetten Tönen war. »Alles in Ordnung, Liebes?«
    fragte ich. Noch immer ging sie auf meine
    Annäherungsversuche nicht ein. Sie konzentrierte sich nur auf die Straße, die Lippen zusammengepreßt, die Knöchel weiß.
    Die unerträgliche Ungewißheit, die mir heftige
    Magenschmerzen verursachte, während wir der Grenze näher und näher kamen, erwiesen sich als unbegründet. Als wir hielten, sah sie in den Rückspiegel und wischte sich mit einem Taschentuch, das sie mit Spucke befeuchtete, ein paar Blutspritzer aus dem Gesicht. Ihr Ausdruck blieb unverändert.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja«, erwiderte ich.
    Sie fuhr wieder an. Ein gelangweilter Grenzposten streifte angesichts unserer diplomatischen Kennzeichen unsere Papiere und Gesichter nur mit einem flüchtigen Blick, ehe er zur Lektüre seiner Zeitung zurückkehrte.
    »Wir haben es geschafft«, sagte ich. Sie antwortete nicht.
    Ein Empfangskomitee erwartete uns jenseits des
    Kontrollpunkts. Es war die Stunde der Dämmerung, in deren

    - 325 -
    ungewissem Licht Soldaten ihre Schlachten zu beginnen pflegen. Ein paar Militärfahrzeuge waren am Straßenrand abgestellt: ein gepanzerter Mannschaftswagen, ein Befehlswagen und eine Ambulanz. Alles, was man zum Kriegführen brauchte. Von dem leeren Straßenrand her traten plötzlich zwei Soldaten in Erscheinung. Der eine war mittleren Alters, der andere in den Zwanzigern. Dann tauchte ein gutgelaunter junger Oberst einer unidentifizierbaren Einheit auf, der die Khaki-Mütze fest über seinen breiten Schädel gezogen hatte und dessen Kampfanzug außer den
    Flügelabzeichen der Fallschirmjäger und der Angabe seines Ranges in schwarzer Schablonenschrift keine Insignien zeigte.
    »Wir haben einen Hubschrauber hier«, sagte der Oberst. Er hielt ein kurzes Offiziersstöckchen, das er nun in der Parodie eines militärischen Grußes für Fiona erhob. »Sind Sie fit genug, nach Köln weiterzufahren?« Gefragt war Fiona. Seine Stimme war laut, sein Gebaren fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher