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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt
Autoren: Len Deighton
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genügend Zeit sein. Das ›Babylon‹ öffnete seine Türen erst, wenn es dunkel war. »Warum probst du diese neue Show nicht tagsüber, Rudi?« fragte ich. Niemand redete den großen Kleinen mit seinem Spitznamen an, nicht einmal ich, obwohl ich ihn schon ewig kannte.
    Seine große Nase zuckte. »Diese Puppen arbeiten tagsüber.
    Deshalb proben wir die Nummern so lange nach meiner Schlafenszeit.« Es war eine strenge deutsche Stimme, darüber täuschte auch das umgangssprachliche Englisch nicht hinweg.
    Er sprach leise und heiser, wozu zweifellos seine Leidenschaft für Havannas beitrug, die erst mindestens sechs Jahre reifen mußten, ehe er sie zwischen die Lippen nahm.
    »Was arbeiten sie denn?« Er erledigte die Frage mit einem Wedeln der Zigarre. »Für mich arbeiten sie jedenfalls schwarz.
    Warum würden sie sich sonst bar auszahlen lassen?«
    »Sie werden morgen müde sein.«
    »Sicher. Wenn du ‘nen Eisschrank kaufst und die Tür herausfällt, brauchst du dich nicht zu wundern. Eine von diesen Puppen ist am Fließband eingeschlafen, stimmt’s?«
    »Stimmt.« Ich betrachtete die Frauen mit neuem Interesse.

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    Sie waren hübsch, aber keine von ihnen war noch wirklich jung. Wie konnten sie den ganzen Tag über arbeiten und die halbe Nacht dazu? Der Pianist wühlte schnell seine Noten durch und fand die gesuchten Blätter. Seine Finger fanden die Melodie. Die Tänzerinnen setzten ihr Lächeln auf und zogen ihre Nummer ab. Kleindorf paffte. Niemand wußte, wie alt er war. Er mußte jedenfalls schon auf der schlechten Seite der Sechzig sein, aber das war auch alles, was schlecht für ihn war, denn er hatte immer ein dickes Bündel großer Scheine in der Tasche und eine schöne Frau, die er nach seiner Pfeife tanzen lassen konnte. Anzüge, Hemden und Schuhe waren vom Feinsten, das ihm die Berliner Herrenausstatter beschaffen konnten, und draußen am Bordstein parkte ein prächtiger alter Maserati Ghibli, bestückt mit einem 4,9-Liter-Motor. Der Wagen war ein Museumsstück, das Rudi vollkommen hatte herrichten und einstellen lassen, so daß er auf der Autobahn über 200 Stundenkilometer mit ihm fahren konnte. Schon seit Jahren machte ich Andeutungen, daß ich mich über eine Gelegenheit, ihn zu fahren, freuen würde, aber der verschlagene alte Teufel tat immer so, als verstünde er mich nicht.
    Ein Gerücht wollte wissen, daß die Kleindorfs preußischer Adel waren, daß Rudis Großvater, General Freiherr Rudolf von Kleindorf, bei der letzten Offensive 1918 eine der besten Divisionen des Kaisers befehligt habe, aber von Rudi selbst habe ich solche Behauptungen nie gehört. ›Der Große‹ gab vor, sein Geld mit Autowaschanlagen in Encino, Kalifornien, zu verdienen. Jedenfalls konnte dieses schäbige Berliner Nachtlokal nicht viel dazu beigetragen haben. Nur die verwegensten Touristen trauten sich überhaupt in ein solches Loch, und wenn sie das Geld nicht auf den Kopf hauten, ließ man sie bald merken, daß sie unerwünscht waren. Manche Leute sagten, Rudi betreibe den Club zu seinem eigenen Vergnügen, aber andere vermuteten, daß er das Lokal brauchte,

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    nicht nur um dort mit seinen Kumpels zu quasseln, sondern weil das Hinterzimmer von Rudis Bar einer der besten Horchposten in der heißen Berliner Gerüchteküche war.
    Letztere zog Rudi an, und er bestätigte sie gerne in ihrem Glauben, denn der Ruf eines Mannes, der immer wußte, was so lief, gab ihm ein Ansehen, das er zu brauchen schien. Rudis Barmann wußte, daß gewisse Männer und Frauen ein Anrecht auf Gratisdrinks hatten: Hotelportiers, Privatsekretärinnen, Leute, die in Telefonvermittlungen saßen, Detektive, Beamte der Militärregierung und Kellner mit scharfen Ohren, die in den Privathäusern der Stadt servierten. Selbst Beamte der Berliner Polizei – die sich selten bezahlter Spitzel bedienen soll
    – kamen in Rudis Bar, wenn andere Quellen versagten. Wie das ›Babylon‹ über die Runden kam, war eins der vielen ungelösten Rätsel Berlins. Selbst an Gala-Abenden deckte der Getränkeverkauf nicht mal die Miete. Die Leute, die im vorderen Raum saßen und sich die Show ansahen, gaben nicht viel aus, schon weil ihre Leber nicht mitmachte. Sie waren die Senioren der Berliner Unterwelt: arthritische Einbrecher im Ruhestand, verwirrte Betrüger und gelähmte Fälscher, Leute, deren Zeit längst vorbei war. Sie kamen zu früh, nippten an ihren Drinks, schielten nach den Mädchen, nahmen ihre Pillen mit einem Glas Wasser und erzählten
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