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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt
Autoren: Len Deighton
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Abkürzungen durch Seitenstraßen, vorbei an verwildertem Eisenbahngelände, die Yorckstraße entlang und dann zu meinem Schlupfwinkel nach Kreuzberg.
    Jenseits der Schneewolken spähte das erste Tageslicht durch das enge Gitter des Morgens. Für Rosa oder Rot war kein Platz am Himmel. Berlins Morgendämmerung kann trübe und farblos sein wie die graue steinerne Stadt, die ihr Licht reflektiert. Meine Wohnung lag nicht in dem Teil von Kreuzberg, der langsam, aber sicher von den Yuppies erobert wird, mit schicken kleinen Restaurants und Apartmenthäusern, deren frischgestrichene Eingangstüren dich fragen, wer du bist, wenn du den Klingelknopf drückst. Kreuzberg SO 36 lag hart an der Mauer: eine Gegend, wo die Bullen nur paarweise auf Streife gingen und man aufpassen mußte, nicht auf Betrunkene oder in Scheiße zu treten.
    Wir gingen an einem baufälligen Mietshaus vorbei, das
    »instandbesetzt« war und eine Reihe alternativer Unternehmen beherbergte: Läden, wo Bohnenkeime und kaputte Fahrräder zu haben waren, einen Kinderladen, eine feministische Kunstgalerie und eine kleine Druckerei, die marxistische Broschüren und Flugblätter druckte – hauptsächlich Flugblätter. Auf der Straße vor dem Gebäude in traditioneller türkischer Tracht, das Gesicht von einem Kopftuch verdunkelt, stand eine junge Frau, die fleißig eine Parole an die Wand sprühte.
    Das Haus, in dem ich wohnte, hatte zwei enorme
    Maschinengewehre schwingende Engel an der Fassade, umringt von Männern mit Zylindern, die unter riesigen, unregelmäßigen Farbflecken standen, der Wolkengrundierung.
    Aus dem Ganzen hätte ein gigantisches politisches Wandgemälde werden sollen mit dem Titel »Der Kindermord von Bethlehem«, aber der Künstler starb an einer Überdosis, kurz nachdem er das Geld für die Farben gekriegt hatte.

    - 16 -
    Werner bestand darauf, mich hinein zu begleiten. Er wollte sichergehen, daß kein unfreundlicher Besuch darauf wartete, mich in meiner kleinen Hinterhofwohnung zu überraschen.
    »Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Werner«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß das Department mich hier aufspürt, und selbst wenn, glaubst du, daß Frank jemanden fände, der beherzt genug wäre, sich in diesen Teil der Stadt zu wagen?«
    »Vorsicht ist besser als Nachsicht«, sagte Werner. Vom anderen Ende des Korridors war indische Musik zu hören.
    Werner öffnete vorsichtig die Tür und knipste das Licht an.
    Eine nackte Glühbirne mit wenig Watt hing an einer Schnur von der Decke. Er sah sich in dem dreckigen Raum um. Die Tapete hing vom feuchten Putz der Wände, und mein Bett bestand aus einer schmutzigen Matratze und ein paar Decken.
    An der Wand hing ein halbzerrissenes Plakat: ein Schwein in Polizeiuniform. Ich hatte seit meinem Einzug hier wenig verändert. Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen. Und so ertrug ich das Leben in dieser dunklen Bruchbude, teilte – mit allen Hinterhofbewohnern – das eine Badezimmer und die beiden Außentoiletten, deren beißender Geruch alles durchdrang. »Wir müssen irgendwas Besseres für dich finden, Bernie.« Die indische Musik hörte auf. »Irgendwo, wo das Department nicht an dich rankommt.«
    »Ich glaube, die sind gar nicht mehr interessiert, Werner.«
    Ich sah mich im Zimmer um und versuchte, es mit seinen Augen zu sehen, aber ich hatte mich an den Schmutz gewöhnt.
    »Das Department? Weshalb wollten sie dich dann verhaften lassen?«
    Er sah mich an. Ich versuchte zu erraten, was er dachte, aber bei Werner konnte ich mir nie sicher sein. »Das ist doch Wochen her. Kann sein, daß ich ihnen in die Hände gespielt habe, schließlich habe ich mich ja selbst ins Gefängnis gesetzt.
    Und sie haben nicht mal Scherereien oder Kosten. Also

    - 17 -
    ignorieren sie mich, wie Eltern einem Kind, das nicht gehorchen will, absichtlich keine Beachtung schenken. Habe ich dir erzählt, daß sie weiterhin mein Gehalt auf mein Konto einzahlen?«
    »Ja, hast du mir gesagt.« Werner klang enttäuscht.
    Vielleicht genoß er das Abenteuer meiner Flucht und wollte es nicht so sang- und klanglos ausgehen sehen. »Die wollen sich natürlich alle Wege offenhalten.«
    »Sie wollten mich mundtot und weg von der Bildfläche haben. Und das bin ich.«
    »Verlaß dich auf nichts, Bernie. Sie könnten auch nur darauf warten, daß du dich rührst. Du hast selbst gesagt, daß sie rachsüchtig sind.«
    »Vielleicht habe ich, aber jetzt bin ich müde, Werner. Ich muß ein bißchen schlafen.« Ehe ich noch
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