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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt
Autoren: Len Deighton
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der Frau seines Lebens, hin – und ich vermutete, daß der Schnurrbart bald folgen würde. »Was zu trinken, Werner?« fragte Rudi.
    »Nein, danke.« Obwohl in Werners Ton keine Ungeduld mitschwang, fühlte ich mich zum Gehen verpflichtet.
    Auch Werner gehörte zu denen, die glauben wollten, daß ich in Gefahr war. Schon seit Wochen bestand er darauf, erst mal die Straße zu kontrollieren, ehe er mich die Hauseingänge verlassen ließ. Das war zwar eine übertriebene
    Vorsichtsmaßnahme, aber Werner war ein umsichtiger Mann

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    und machte sich meinetwegen Sorgen. »Na denn, gute Nacht, Rudi«, sagte ich.
    »Gute Nacht, Bernd«, sagte er, den Blick noch immer auf die Bühne gerichtet. »Wenn der Lange mir ‘ne Ansichtskarte schreibt, darfst du die Briefmarke unter dein Mikroskop legen.«
    »Danke für den Drink, Rudi.«
    »Komm wieder mal vorbei, Bernd.« Er gestikulierte mit seiner Zigarre. »Klopf lauter. Vielleicht wird der Lange schon ein bißchen taub.«
    Draußen, auf der mit Unrat bedeckten Potsdamer Straße, war es kalt, und es schneite. Dieser ehemals schöne Boulevard endete jetzt an der Mauer und war zum Brennpunkt eines schmutzigen Viertels geworden, wo Sex, Souvenirs, Junk-Food und Jeans zu kaufen waren. Neben dem unauffälligen Eingang des ›Babylon‹ zeigte grelles Neonlicht das mit Vorhängen drapierte Schaufenster und die Gäste eines libanesischen Cafés.
    Männer mit gestrickten Mützen und gekräuselten
    Schnurrbärten saßen tief über ihre Teller gebeugt und aßen geröstete Sojabohnenraspel, die man ihnen von dem Ersatz-Schwawarma gesäbelt hatte, das sich an einem Spieß im Schaufenster drehte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kauerte schwankend ein Betrunkener an der Tür eines Massagesalons, die er mit den Fäusten bearbeitete, während er gleichzeitig wütend durch den Briefschlitz schrie. Werners Hinken war bei kaltem Wetter immer besonders schlimm. Sein Bein hatte drei Brüche erlitten, als er eines Nachts drei DDR-Agenten überraschte, die gerade seine Wohnung durchsuchten.
    Sie warfen ihn aus dem Fenster. Das war lange her, aber Werner hinkte immer noch.
    Wir gingen vorsichtig auf dem vereisten Pflaster, als plötzlich drei junge Männer aus einem Laden stürzten. Türken: dünne, drahtige Jungen in Jeans und T-Shirts, anscheinend unempfindlich für bittere Kälte. Sie rannten mit stampfenden

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    Füßen und Gesichtern, die zu jenem häßlichen Ausdruck verzerrt waren, den solche Anstrengungen mit sich bringen, geradewegs auf uns zu. Alle schwangen Stöcke. Atemlos schrie ihr Anführer etwas auf türkisch, das ich nicht verstand, und die beiden anderen wichen auf die Fahrbahn aus, als wollten sie uns in den Rücken fallen. Meine Pistole war in meiner Hand, ohne daß ich bewußt entschieden hätte, sie zu brauchen. Ich streckte die Hand aus und stützte mich gegen die kalte Steinwand, während ich zielte. »Bernie! Bernie! Bernie!« hörte ich Werner in einem Ton des Entsetzens rufen, der so fremd war, daß ich erstarrte. Und im gleichen Augenblick spürte ich den scharfen Schlag, mit dem Werners Arm meine Pistole in die Höhe schlug. »Das sind bloß Kinder, Bernie. Kinder!«
    Die Jungen rannten an uns vorbei, schreiend, schubsend und rempelnd, ein Ritual spielend, an dem wir nicht teilhatten. Ich steckte meine Waffe weg und sagte: »Ich werde nervös.«
    »Du hast überreagiert«, sagte Werner. »Ich mache das andauernd.« Aber er sah mich auf eine Weise an, die seine Worte Lügen strafte. Der Wagen stand am Bordstein. Ich stieg neben ihm ein. Werner sagte: »Warum legst du die Pistole nicht ins Handschuhfach?«
    »Weil ich vielleicht Lust kriegen könnte, jemanden umzulegen«, sagte ich, gereizt darüber, wie ein Kind behandelt zu werden, obwohl ich mich inzwischen eigentlich an Werners Bemutterung gewöhnt haben sollte. Er zuckte die Achseln und schaltete die Heizung an, so daß mich plötzlich heiße Luft anblies. Einen Augenblick saßen wir ganz still da. Ich zitterte, die Wärme tat mir gut. Große Silbermünzen klatschten gegen die Windschutzscheibe, verwandelten sich zu eisigem Matsch und tröpfelten dann weg. Es war ein roter VW Golf, den der Händler ihm geliehen hatte, solange sein neuer BMW in der Reparatur war. Noch immer fuhr er nicht los: Wir saßen da bei laufendem Motor. Werner sah in den Rückspiegel und wartete, bis die Straße frei war. Dann legte er den Gang ein, wendete

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    mit einem Kreischen geschundenen Gummis und fetzte los, fuhr
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