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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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eigentlich mit niemandem in Verbindung«, sagte Kate und fing zu lachen an. Die Agentin lächelte verwirrt, während Kate sich vor Lachen krümmte.
    »Du lieber Himmel«, murmelte Sean und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Kate hatte im Laufe der Jahre schon öfter die Nerven verloren. Wenn sie einmal hysterisch wurde, war sie kaum noch zu beruhigen. »Kate, ist schon gut.«
    Aus dem Lachen wurde Weinen. Die verdrängte Wut, die Todesangst, der Kummer über den Verlust der Insel bahnten sich einen Weg.
    »Kate«, sagte Sean und nahm sie in den Arm. Sie wurde von Schluchzern geschüttelt. »Ist schon gut. Alles wird wieder gut.«
    Obwohl sie sich so verloren fühlte und um sie herum Chaos herrschte, die Warnleuchten der Rettungswagen zuckten und beißender Qualm die Luft erfüllte, wusste Kate, dass er Recht hatte.

NEUNUNDDREISSIG
    N achdem Birdie uns in jener Nacht gesehen hatte, wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Jack und ich hatten einen furchtbaren Streit. Tagsüber rissen wir uns zusammen, den Kindern zuliebe, aber sobald sie im Bett lagen, stiegen wir auf den Aussichtsfelsen. Auch dort oben wagten wir es kaum, die Stimme zu heben. Jack stellte mir ein Ultimatum, mich zwischen Richard und der Familie zu entscheiden. Im Sommer musste Jack oft in die Stadt zurück. Dann traf ich Richard, sobald die Kinder schliefen. Er wartete im Wäldchen am Nordstrand auf mich. Ich brauchte nicht lange, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich trennte mich am darauffolgenden Abend von Richard, und er schien meinen Entschluss zu respektieren.
    Dennoch schrieb er mir im Herbst verzweifelte Briefe. Ich wollte ihn sehen. Ich erzählte Jack, meine Schwester sei unheilbar erkrankt. Ich müsse unverzüglich zu ihr, da niemand wisse, wie lange sie noch zu leben habe. In gewisser Hinsicht stimmte es sogar. Ich verbrachte einen Tag und eine Nacht bei meiner Familie, aber auf dem Rückweg in die Stadt hielt ich am Yachthafen und fuhr mit unserem Boot zu Richards Insel. Es war schon kalt. Ich fühlte mich unwohl, das Wasser war grau und die Luft eisig. Noch bevor ich die Insel erreicht hatte, fing es zu schneien an, auf dem Anleger lag eine dünne Schneedecke. Ich war traurig. Heart Island war ein Sommertraum. In meiner Vorstellung existierte der Winter dort nicht.
    Wir verbrachten einen Tag in unserem Haus. Draußen war es zu kalt, nie und nimmer hätte ich es in seinem Zelt oder draußen am Lagerfeuer ausgehalten. Ich habe die Kälte nie gemocht. Ich bat ihn, mit mir zu kommen. Ich wollte ihn nicht allein lassen, er war schwermütig und rutschte schon wieder in die Depression ab. Das war Richards Problem, seine dunkle Schwermut war ihm wichtiger als das Leben. Nur deswegen habe ich mich für Jack entschieden. Der arme Jack. Er hatte etwas Besseres verdient als mich. Er war ein guter Mann, aber ich war ihm keine gute Ehefrau.
    Alles war in Ordnung, bis ich wieder abreisen wollte. Richard wollte mich nicht gehen lassen. Er sagte, er könne ohne mich nicht leben. Ich entgegnete, er müsse es lernen. Auf keinen Fall würde ich meine Familie weiterhin betrügen. Und obwohl ich wusste, dass es schändlich war, sagte ich ihm, ich würde ihn nicht mehr lieben. Ich bereue meine Worte bis heute. Ich hätte gute Miene zum bösen Spiel machen und ihn zu seiner Familie bringen sollen. Sie wussten, was er brauchte und wie man ihm durch die dunklen Zeiten half, wie man ihn zum Schreiben brachte – seine Methode, die Dämonen zu zähmen. Aber ich war zu schwach. Birdie hätte uns um ein Haar zusammen gesehen, und die Kinder brauchten mich mehr denn je. Gene hatte Schwierigkeiten in der Schule, Caroline hing sehr an mir. Und Birdie – nun, Birdie war stur und bockig. Seit jener Nacht war sie böse auf mich, so als habe sie durchschaut, dass ich sie zum Gespött der Familie machte, um meine Lügen zu kaschieren. Die arme Birdie war zu reif, zu clever für ihr Alter. Sie hatte sich nicht einmal gestattet, an den Weihnachtsmann zu glauben. Es war schon Strafe genug, ihr in die Augen zu schauen.
    Seltsamerweise habe ich immer vermutet, Birdie könnte Richards Tochter sein. Sie war so anders als ihre Geschwister, so hart und unnachgiebig, so wütend und aufbrausend. Manchmal erkenne ich ihn in ihren langen, schlanken Fingern wieder, in der blassen Haut, den schmalen Lippen.
    Im Sommer vor Birdies Geburt war Jack wochenlang in der Stadt. Ich traf Richard fast jeden Abend. Birdie hängt mehr an der Insel als ihre Geschwister, so als gehöre sie
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