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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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durfte sie nicht verurteilen, auch wenn ihre Wut sie dazu verleitete. Es war ja so einfach, den anderen ihre Schwächen vorzuhalten und sie büßen zu lassen. Und ungleich viel schwerer war es, Mitgefühl zu zeigen, sich in den anderen wiederzuerkennen und ihnen zu vergeben.
    »Auch ich habe Fehler gemacht, Mom. Aber in Zukunft will ich mich bessern.«
    Der Knoten in ihrer Brust löste sich. Sie hatte ihn gespürt, seit sie Dean und Brad geholfen hatte, das Blue Hen zu überfallen. Zum ersten Mal seit jenem Abend spürte sie neue Hoffnung.

EINUNDVIERZIG
    B irdie stand auf den Klippen von Heart Island und schaute zu, wie die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen. Heute ging sie nicht schwimmen; dieser Tage bestimmte der Ischias ihr Leben. Obwohl die Bewegung ihr eigentlich guttat.
    Sie hob den Kopf und begutachtete das Gerüst des neuen Hauses, das sie bauen ließ. Das Haus wurde zwar auf dem alten Fundament errichtet, aber sie hatte es allein geplant. Sie wollte unbedingt, dass das Schlafzimmerfenster nach Osten ging. So viele Menschen liebten den Sonnenuntergang, auch Joe; Birdie hingegen sah glücklich jedem neuen Tag entgegen. Gott erinnerte sie jeden Morgen daran, dass auf die dunkle Nacht stets ein heller Tag folgt.
    In wenigen Stunden trafen die Arbeiter ein, und dann hörte man überall auf der Insel Hämmern und Sägen, laute Musik und Geschrei. Sie vertrieben die Stille und die Vögel, aber das war Birdie egal. Bald konnte sie ihr neues Haus in Augenschein nehmen, es würde alles so sein, wie sie es wünschte, und das war jedes Opfer wert. Und dann kehrte endlich wieder Ruhe ein.
    Sie war auf Heart Island allein. Kate und ihre Familie hatten entschieden, die Ferien dieses Jahr an einem irrwitzig fernen Ort zu verbringen. Asien oder Afrika? Obwohl sie und Kate sich seit dem letzten Sommer und der Buchveröffentlichung näherstanden, war ihr Verhältnis von einer neuen Distanz geprägt. Kate sagte öfter nein und besuchte ihre Eltern seltener als früher. Und die nächsten zwei Sommer wollte sie nicht auf Heart Island verbringen. Wenn Birdie zu lange nachdachte, wurde ihr unwohl, dann holten Reue und Trauer und Einsamkeit sie ein. Also versuchte sie, sich abzulenken. Theo rief einmal pro Woche an, doch er kam nicht mehr nach Heart Island. Er sagte, sie wisse genau, warum. Sie hatte keine Ahnung. Auch darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
    Sie hatte Joe gebeten, den Sommer in der Stadt zu verbringen. Eine Scheidung war in ihrem Alter weder schicklich noch billig, deswegen hatten sie beschlossen, sich vorerst auf verschiedenen Umlaufbahnen zu bewegen. Sie absolvierten die offiziellen Termine und trafen Freunde zum Essen. Es war am besten so, oder?
    Birdie kletterte vom Fundament herunter, und ihr Ischias protestierte bei jeder Bewegung. Mit steifen Schritten umrundete sie das Haus und stieg zum Aussichtsfelsen hinauf. Sie hatte auf der Anhöhe einen Pavillon errichten lassen, in dem sie sitzen und ihren Blick über die Nachbarinseln, den See und das Festland schweifen lassen konnte.
    Von hier oben hatte sie die ganze Insel im Blick. Caroline hätte es hier gefallen. Sie hätte sich hingesetzt und geschrieben. Sie hatte den Pavillon im Andenken an ihre Schwester bauen lassen, als Entschuldigung sozusagen. Eine allzu geringfügige Wiedergutmachung, die zu spät kam. Birdie wusste nicht mehr, warum sie sich ständig gezankt hatten. Vermutlich war es Eifersucht gewesen – wer hatte was vorzuweisen, wer hatte mehr. Sie stritten um Schönheit, Liebe, Kinder, Glück, um die Zuwendung und das Lob der Mutter, um Heart Island. Wie albern sie gewesen waren.
    Birdie saß im Pavillon und erinnerte sich an ihre Kindheit auf Heart Island, lange bevor das Verhältnis zu den Geschwistern durch Verbitterung und Zorn vergiftet wurde und sich verhärtete. Wie es war, zu spielen und zu lesen, in der Hängematte zu liegen und die Sterne zu zählen, einfach nur da zu sein. Mehr verlangte die Insel nicht. Ihr Leben lang hatte sie versucht, in dieses Reich der Kindheit zurückzufinden. Aber vielleicht war ihre Erinnerung, so wie Kate gesagt hatte, eine Fiktion, ein Traum von einem Idyll, das in der Form nie existiert hatte. Vielleicht war Heart Island nur das, was es im Moment war. Es beugte sich weder den Träumen noch der Vergangenheit.
    Dann entdeckte sie ihn zwischen den Bäumen. Er leistete ihr Gesellschaft, blieb aber immer auf Abstand, kam nie näher. Oft lief sie auf ihn zu, und dann verschwand er. Sie hatte
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