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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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Wahrscheinlich dachte sie, sie könnte mich beschützen, indem sie den beiden gehorchte. Sie war immer fleißig und ehrlich. Sie hat einen schrecklichen Fehler gemacht, aber es wäre falsch, sie dafür jahrelang büßen zu lassen.«
    Auf dem Weg aus dem Gerichtssaal hatte Carol sie traurig angelächelt. Emily war in Tränen ausgebrochen. Sie war Carol so unendlich dankbar, und gleichzeitig schämte sie sich zu Tode.
    Sie hatte sich zu einem Häftlingsprojekt angemeldet, bei dem die Insassen Blindenhunde trainierten. Wenn sie sich um ihre Rehabilitierung bemühte, wurde die Haftzeit verkürzt. Der Gedanke, sich nützlich machen zu können und anderen zu helfen, half ihr jeden Morgen beim Aufstehen. Sie tat Buße. Vielleicht war sie danach geläutert. Sie durfte in der Haft sogar ihr Studium abschließen.
    Bis zum Haftantritt blieb ihr noch eine Woche. Dann fing ihr neues Leben an . Sie versuchte, nicht an die Horrorgeschichten über das Frauengefängnis zu denken. »Wenn Sie nicht aufpassen, werden sie Sie ausnutzen und misshandeln«, hatte die Anwältin gesagt. »Diese Menschen wissen genau, wie weit sie gehen können. Sie werden versuchen, Sie unterzubuttern. Bleiben Sie stark. Versuchen Sie nicht, sich beliebt zu machen. Verhalten Sie sich unauffällig und machen Sie Ihre Arbeit, dann überstehen Sie es unbeschadet . «
    Anders als erwartet hatte ihre Mutter sie weder beschimpft noch verstoßen. Sie hatte zu Emily gehalten, ihr eine Anwältin besorgt und war jeden Tag zur Verhandlung erschienen. Das Geld, das Joe ihr fürs College gegeben hatte, reichte aus, um eine Expertin anzuheuern, die sich mit Fällen wie Emilys auskannte. Sie setzte sich dafür ein, dass die Haftstrafe reduziert wurde und Emily an einer Beschäftigungstherapie teilnehmen konnte. Joe hatte natürlich nicht versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen, was sie zunächst verletzt hatte. Aber langsam dämmerte ihr, dass der Mann, den sie in Joe Burke immer gesehen hatte, ein Traumbild war. Er war nicht ihr Vater. Warum er Geld für ihre Ausbildung herausgerückt hatte, war ihr ein Rätsel. Er war ihr nichts schuldig. Sie bedeutete ihm nichts, sie war das kleine Mädchen, zu dem er nett gewesen war, solange er ihre Mutter liebte. So wie bei Emily hatten die Umstände auch sein Verhalten bestimmt. Vielleicht wollte er ihr zeigen, dass er sie unter anderen Gegebenheiten geliebt hätte, dass er die Vaterrolle gern übernommen hätte, auch wenn er nicht ihr Erzeuger war. Sie hatte keinen Grund, das zu glauben, aber sie bildete es sich gern ein.
    »Wenn man Geld hat, ist es ein Leichtes, großzügig zu sein«, hatte Martha gesagt. »Man spielt sich als Wohltäter auf, aber in Wahrheit will man nur seine Ruhe und sich gegen eventuelle Vorwürfe wehren. Mit Geld kann man sich Abstand erkaufen und Menschen kontrollieren.«
    Vielleicht jedoch gaben manche Leute lieber Geld statt Liebe, weil sie keine Liebe im Angebot hatten. Wenn man Geld auf dem Konto hatte und wohltätige Projekte unterstützte, bedeutete das noch lange nicht, dass man ein großes Herz hatte.
    Emily duschte, zog sich an und ging nach unten in die Küche, wo ihre Mutter das Frühstück machte. Seit der Urteilsverkündung hatten sie nicht viel geredet. Was gab es noch zu sagen? Sie waren am Ende eines langen Weges angekommen und standen vor einem Neuanfang. Emily sammelte ihre Kräfte, und zu sprechen war dem nur abträglich.
    Sie setzte sich an den Tisch. Ihre Mutter brachte ihr einen Kaffee und setzte sich dazu. Die Küche war schäbig, die Geräte uralt und der Boden so abgetreten, dass er nicht mehr zu säubern war, egal, wie heftig man schrubbte.
    »Ich weiß, es ist alles meine Schuld«, sagte Martha. Emily hob den Kopf, aber Martha sah sie nicht an. Emily sah ihren grauen Haaransatz, die ungepflegten Fingernägel, die Flecken auf der Bluse. »Ich wollte dir sagen, dass es mir unendlich leidtut, dich so enttäuscht zu haben.«
    »Mom.« Sie wollte widersprechen und sagen, dass alles in Ordnung kommen, dass sie es schaffen würde. Aber war das nicht genau ihr Problem? Immerzu wollte sie es den anderen recht machen und blieb dabei selbst auf der Strecke. Immerzu war sie auf der Suche nach einer Aufgabe, nach jemandem, der ihre innere Leere füllte. Nur deswegen war sie auf einen Mann wie Dean hereingefallen.
    »Ich habe Fehler gemacht, schlimme Fehler«, sagte Martha. »Aber ich will dir helfen, so gut ich kann.«
    Auch ihre Mutter hatte auf der Suche nach Liebe alles falsch gemacht. Emily
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