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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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ständig belagert und überfordert fühlte, sei es vom Telefon oder von der Türklingel. Gerade so, als wäre sie so gefragt, dass sie nicht mehr hinterherkam. Kate schüttelte das Gefühl ab, wie so oft wollte sie nicht an Birdie erinnert werden.
    »Hallo?« Sie zwang sich, freundlich zu klingen.
    »Hey.« Ihr Bruder. Er klang seltsam. Sie wusste genau, warum er sie anrief.
    »Sag es nicht, Teddy«, rief sie. Für sie hieß er immer noch Teddy. Seit über zehn Jahren schon nannte er sich Theo. Seine Freunde, sein Lebensgefährte und seine Kollegen kannten ihn als Theo. Nur Kate und die Eltern nannten ihn manchmal noch Teddy.
    Kate entdeckte Brendan auf dem Fußballplatz. Er winkte ihr zu. Er wirkte viel kleiner als die anderen Jungen. Sie winkte zurück und hob einen Finger als Zeichen, dass sie gleich bei ihm sein würde.
    »Es tut mir leid«, sagte ihr Bruder. Er seufzte. »Es geht nicht. Dieses Jahr schaffe ich es wirklich nicht.«
    »Du musst«, sagte Kate, »du hast es mir versprochen.«
    Die Jungen trabten auf das Feld. Brendan warf ihr einen irritierten Blick zu und bezog seine Position. Sie hörte eine Trillerpfeife und den Applaus der anderen Eltern.
    »Ich weiß«, sagte ihr Bruder. »Aber mir ist klar geworden, dass das nichts mehr für mich ist.« Seine Stimme verriet ihr, dass er seine Meinung nicht mehr ändern würde. Dann fügte er hinzu: »Ich bin nicht so wie du.«
    »Was soll das heißen?«
    »Du weißt schon«, sagte er. Er klang müde und ein bisschen beleidigt. »Du hast immerhin Dad auf deiner Seite. Ich nicht.«
    Dummerweise schossen ihr die Tränen in die Augen. Kate blinzelte sie schnell weg. Wut, Enttäuschung und Trauer, so hießen die treuen Begleiter eines jeden Familientreffens. Diesmal waren sie früh dran. Und sie ließen sich wohl nicht mehr abschütteln. Kate schwieg.
    »Kate, hör mal«, sagte Teddy in die Stille hinein, »ich bin zu alt dafür. Ich nehme nicht die eintägige Anreise in Kauf, nur um mich auf dieser abgeschotteten Insel beschimpfen zu lassen. Irgendwann im Leben muss man anfangen, sich abzugrenzen und nein zu sagen.«
    Kate schnaubte. Beschimpfen? Das war ein bisschen übertrieben, oder? Und schon wieder reagierte sie wie ihre Mutter: Sie biss sich an Begrifflichkeiten fest, um der bitteren Wahrheit nicht ins Auge blicken zu müssen.
    »Aber was ist mit mir und den Kindern?«, fragte sie. Sie war sich nicht zu schade, an sein Mitgefühl zu appellieren. »Wir werden dich vermissen.«
    »Wir sehen uns an Thanksgiving.«
    »Teddy, bitte, lass mich nicht allein.« Ja, sie bettelte ihn an.
    »Versuch, mich zu verstehen«, sagte er. »Du bist genauso wenig verpflichtet hinzufahren.«
    Doch. Es gab unzählige Gründe, die alle miteinander zusammenhingen. Ein riesiges Knäuel aus Hoffnungen, Befürchtungen und Pflichten.
    »Ich muss auflegen«, sagte sie. Sie klang ungewollt kühl.
    »Kate …«
    »Brendan hat ein Spiel. Und im Gegensatz zu dir halte ich die Versprechen, die ich meiner Familie gebe.«
    »Ich bitte dich«, sagte er. Jetzt war er wütend. »Du klingst genau wie sie.«
    Das war ein unnötiger Schlag unter die Gürtellinie, der sie daran erinnerte, dass sie ihren Bruder zwar sehr liebte, ihr Verhältnis jedoch alles andere als unbelastet war. Wie sollte es anders sein? Die Kinder von Birdie und John Burke konnten kaum hoffen, einander nahe zu sein. Das hatte ihnen niemand vorgelebt, ihre Eltern schon gar nicht. Vielleicht war es für Teddy tatsächlich das Beste, dem Familientreffen fernzubleiben.
    »Mach’s gut, Theo.« Kate schaltete das Handy aus.
    Sie blieb noch für eine Weile im Auto sitzen, die Stirn ans Lenkrad gelehnt, bis sie die Trillerpfeife des Schiedsrichters hörte. Daraufhin stieg sie aus, öffnete den Kofferraum und nahm das Wasser und die Orangen heraus, die mitzubringen sie dem Trainer versprochen hatte. Es war wichtig, seine Versprechen zu halten. Wieso hatten das außer ihr alle vergessen?

DREI
    C helsea durfte nur in Anwesenheit ihrer Mutter mit ihrem leiblichen Vater Sebastian telefonieren. Deswegen drückte sie, als sie seine Nummer auf dem Handydisplay entdeckte, auf ignorieren . Nicht der Richter hatte das so festgelegt. Chelsea und ihre Mutter hatten es vor ein paar Jahren selbst beschlossen.
    Als sie kleiner war, hatte Chelsea sich nach jedem Telefonat mit ihrem Vater miserabel gefühlt, ohne erklären zu können, warum. Vielleicht, weil er so fern und traurig klang. Und manchmal war er wütend und redete schlecht über ihre Mom.
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