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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten
Autoren: Lisa Unger
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gut genug sein. Früher , hatte Sean, ihr Vater, einmal gesagt, haben die Leute sich unterhalten. Wir haben unsere Gefühle und Gedanken nicht auf irgendeiner digitalen Pinnwand ausgehängt. Man wusste, was man tat und dachte und was die besten Freunde so taten und dachten. Und weißt du, was? Mehr brauchte man nicht zu wissen.
    Anscheinend hingen ihre Eltern noch an einem paradiesischen Zustand, den es im richtigen Leben längst nicht mehr gab. Ständig versuchten sie, Chelsea die Realität aus- und das Ideal einzureden. Manchmal war es ermüdend. Gebt auf, wollte Chelsea ihnen sagen , ihr habt verloren. Die Welt ist scheiße, und alle Kommunikation wird nichts daran ändern. Aber ihre Eltern waren so bemüht, so ernst. Das konnte sie ihnen nicht antun.
    Eine neue Freundschaftsanfrage. Chelsea klickte den leuchtend blauen Link an. Ein gewisser Adam McKee wollte ihr Freund sein. Sie hatte keine Ahnung, wer er war, aber er sah echt süß aus mit dem schwarzen Strubbelhaar und den dunklen, langen Wimpern.
    Sie wurde neugierig. Wer war er, und wieso schickte er ihr eine Anfrage? Sie klickte seinen Namen an, um nachzusehen, ob sie gemeinsame Bekannte hatten. Er ging in Brighton zur Schule, der Nachbargemeinde. Sie hatten eine gemeinsame Freundin: Lulu. Klar, Lulu war mit absolut jedem befreundet, auch wenn sie über ihre meisten Freunde nur Schlechtes sagte.
    Ohne Adam McKees Freundschaftsanfrage anzunehmen, würde sie nicht mehr über ihn in Erfahrung bringen. Sie würde Lulu fragen. Auf keinen Fall akzeptierte sie einen Unbekannten, selbst wenn er zum Anbeißen aussah. Chelsea schrieb: Auf zur Mall, shoppen und Smoothies mit Lulu. Wer kommt mit? Wir treffen uns in der Rotunde. Das klang lahm, aber etwas Spritzigeres fiel ihr gerade nicht ein.
    »Chelsea, kommst du?«, rief ihre Mutter von unten. Anscheinend war irgendetwas passiert; auf einmal klang sie angespannt. So war es immer – Mom war normal und hatte eine Minute später schlechte Laune. Am besten, man ließ sich nichts anmerken. Mittlerweile war Chelsea darin richtig gut.
    Wie konnte es schon halb vier sein? Wie kam es, dass die Nachmittage nur so verflogen? Wenn Kate die Kinder in der Schule oder im Feriencamp abgeliefert hatte und nach Hause kam, war das ganze Haus vom goldenen Sonnenlicht erfüllt. Der Tag erstreckte sich endlos vor ihr, und sie hatte genug Zeit für Erledigungen. Und dann war es plötzlich elf Uhr. Dann zwei Uhr. Um drei saß sie wieder im Auto, um beide Kinder durch die Gegend zu fahren.
    Sie war nicht faul. Nie gewesen. Und doch sah es so aus, als käme sie nie dazu, die wirklich großen Vorhaben in Angriff zu nehmen. Ja, das Haus war blitzsauber, die Wäsche immer gewaschen, das Essen gekocht, der Kühlschrank vollgestopft mit allem, was die Familie brauchte. Darum kümmerte sie sich täglich. Leider konnte sie diesen Aufgaben nichts abgewinnen. Es waren Notwendigkeiten, eine Pflichtübung, die sie erfüllte, um nicht vollends als Versagerin dazustehen. Natürlich lag sie nicht auf der faulen Haut. Sie half ehrenamtlich in der Schule mit, teilte sich mit Bekannten einen Garten zum Anbau von Biogemüse. Im letzten Jahr hatte sie viel geleistet. Aber irgendwie war es nie genug.
    »Chelsea, kommst du?«, rief sie. Sie bemühte sich, nicht gehetzt zu klingen.
    Eine Minute später schwebte ihre Tochter die Treppe herunter. Kate spürte bei Chelseas Anblick einen kleinen Stich. Chelsea hatte ja keine Ahnung, wie schön sie war, was ihre Schönheit nur noch unterstrich. Manchmal wurde es Kate angst und bange, wenn sie Chelseas Taille, die milchweiße Haut, das goldschimmernde Haar sah. Am liebsten hätte sie ihre Tochter in Tücher gehüllt und vor der Welt versteckt. Sie sehnte sich nach Burkas, Nonnenklöstern und einer strengeren Kleiderordnung. Wie sollte man etwas dermaßen Liebreizendes beschützen? Wie sollte man die Welt daran hindern, ihre schmutzigen Hände an dieses zauberhafte Wesen zu legen? Es war unmöglich. Das war die traurige Wahrheit. Man konnte Chelsea nur beibringen, sich selbst zu schützen.
    »Was ist denn?«, fragte Chelsea. »Warum siehst du mich so an?«
    »Nur so«, sagte Kate und zwang sich zu einem strahlenden Lächeln. Sie tätschelte die glatte Wange ihrer Tochter. »Ich gucke ganz normal. Wir sind spät dran.«
    Chelsea schwebte an Kate vorbei. Sie zog eine Duftwolke aus Puder, Shampoo und Ivory -Seife hinter sich her. Der saubere, unschuldige Geruch der Kindheit. Kate war beruhigt. Sie folgte ihrer Tochter nach
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