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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Autoren: Kai Strittmatter
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langer Zeit nicht zu wundern, wenn einem ein am »Tatort« geschulter chinesischer Krimifan mit misstrauisch hochgezogenen Augenbrauen begegnete: Aha, du willst also Deutscher sein? Und wo sind deine Koteletten? Und deine Schlaghosen? Spätestens aber, wenn sie ungläubig beobachten, wie nach einem gemeinsamen Abendessen ein jeder von uns sein Portemonnaie herauszieht, um für sich selbst zu zahlen, glauben sie einem, dass man aus Deutschland kommt.
    Nach vollzogener Völkerverständigung werden Sie vielleicht feststellen – Sissi hin, Heintje her –, dass chinesische und deutsche Psyche höfliche Distanz halten. Verwunderlicher jedoch ist etwas anderes: die bisher noch wenig beschriebene Seelenverwandtschaft der Chinesen mit den Italienern. Sie springt einem mitunter so ins Gesicht, dass man gerne Gerhard Polt sein möchte, um einmal ungestraft ausrufen zu können: Sie! Der Chines’ is’ ja praktisch der Italiener Asiens! Das geht los beim erotischen Verhältnis zu Nahrungsaufnahme und Mobiltelefonen und hört bei der Vergötterung der eigenen Familie, namentlich der Kinder, noch längst nicht auf. Und was den Chinesen an Leidenschaft und Spontaneität fehlt, das machen sie mit ihrer Hingabe an Spektakel jeder Art wieder wett. Ich hatte eine Bekannte aus Rom, die während zweier Jahre im doch nicht unschönen Hamburg beinahe eingegangen wäre vor Heimweh und Depression – und die im chaotischen, schmutzigen, aufregenden Peking aufblühte wie eine Lotusblüte im Moor.

 

Passt scho
     
     
    Lässige Herangehensweise an die Dinge, die hierzulande am ehesten im Bayerischen ihr Pendant findet. Wörtlich heißt cha bu duo »fehlt nicht viel« – eine Feststellung, die in Deutschland für gewöhnlich als Ansporn zum Endspurt empfunden wird und ein letztes In-die-Hände-Spucken zur Folge hat. In China hingegen erfolgt sie meist als Ausruf von Zufriedenheit, als Schlusspunkt hinter aller Anstrengung. Philosophisch bereiteten dem Hang der Chinesen zum Fünfe-grade-sein-Lassen die entspannt im Weltenstrom treibenden Daoisten den Boden. Sie vermieden tunlichst alles, was der Natur ihren Stempel hätte aufdrücken können, und zeichneten sich durch eine Abneigung gegen Perfektionismus wie überhaupt gegen Extreme aller Art aus. »Was zum Äußersten getrieben wird, kehrt sich in sein Gegenteil um; was zur höchsten Blüte kommt, muss verfallen«, lehrt ein alter Spruch. Das Leben nach dem Chabuduo -Prinzip ist zum einen ein sympathischer Zug. Zum andern trägt es eine Mitschuld daran, dass in China auch Wände in neuen Häusern Risse haben und sich mancher Ausländer den Gang zum Zahnarzt hier zweimal überlegt. Aber wenn wir den Daoisten glauben, dann werkelt der deutschePerfektionismus ja fleißig an seinem Niedergang. Während das chinesische Volk weiter blinzelnd durch die Weltgeschichte treiben wird wie seit Jahrtausenden und seine Blüte erst noch vor sich hat. Das bayerische natürlich auch.

 

Die Familie. Oder: Herr Li,
Frau Wang, Fräulein Zhang
     
     
    In der Chinesischen Akademie für Wissenschaften haben sie ausgerechnet, dass China ungefähr 700 Millionen Menschen ausreichend Platz und Ressourcen bietet. Weder Chinas Führer noch seine Menschen jedoch haben sich je groß um ihre Wissenschaftler geschert, und so gibt es heute mehr als 1,3 Milliarden Chinesen. Sollte Ihnen einmal der Sinn nach Gesellschaft stehen, dann stellen Sie sich auf den Bahnhofsvorplatz einer beliebigen chinesischen Stadt und rufen Sie laut: »Herr Li!« Sie werden sich wundern. 105 Millionen Menschen in China heißen Li – mehr als Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen Einwohner haben. 291 Millionen Chinesen teilen sich im Moment ganze drei Familiennamen: Li, Wang und Zhang. Und wer die hundert häufigsten Namen kennt, der kann immerhin 1,1 Milliarden Chinesen korrekt ansprechen: 87 Prozent der Bevölkerung. Nicht umsonst ist die Bezeichnung für das einfache Volk in China auch heute noch lao bai xing : die »einhundert alten Namen«.
    Dass die Gefahr der Verwechslung größer geworden ist, liegt nicht nur am beständigen Anschwellen dieses Volkes und damit der Sippen Li, Wang und Zhang, sondern auch an derVornamenmode. Früher war es Sitte, einen aus zwei Zeichen bestehenden Vornamen zu wählen, sodass einem noch heute manch glückliche Fügung die Bekanntschaft von Frauen beschert, die »Intelligent und wohlriechend«, »Glücklich und fröhlich« oder aber »Sommerfrühling« heißen, was schon den Akt der
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