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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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Mittelalters geschlagen haben soll. Zu besonders mutigen Mädchen sagt man hier: «Bravo, du bist stark wie eine Matilde!» Die adlige Dame konnte angeblich genauso gut mit dem Bogen schießen wie mit dem Schwert kämpfen, und sie gewährte dem Papst Asyl auf ihrer Festung. Eigentlich war Gregor VII. auf dem Weg nach Augsburg, der Pontifex wollte selbst über die Alpen ziehen, sich mit den deutschen Fürsten treffen und einen neuen König wählen. Das Ende des Tyrannen war schon längst beschlossene Sache, doch als der Papst erfuhr, dass Heinrich ihm entgegenkam, geriet er in Panik und verschanzte er sich auf Matildes Burg. Er rechnete fest damit, dass Seine Majestät ihm die Rübe einschlagen wollte.
    Und womit rechne ich heute? Ich erwarte nichts. Ich denke auch an nichts. In meinem chaotischen Spaghetti-Gehirn herrscht absolute Ruhe, Zen, und das ist ein großartiges Gefühl. Ich bin einfach nur froh darüber, dass mich das silberne Porsche-Cabrio verfehlt hat, das eben an mir vorbeigeschossen ist. Auch die Motorradfahrer fliegen tief. Ich hatte gehofft, dass am Sonntag auf den Straßen weniger los ist, doch offenbar macht halb Italien einen Ausflug nach Canossa. Schließlich soll es dort wunderschön sein, sagte Renato aus Gladenbach.
    Der Grünstreifen im Industriegebiet von Montecavolo, zehn Kilometer vor der Burg, ist liebevoll mit roten Rosen bepflanzt. Eine Käserei wirbt für ihren Parmigiano Reggiano, ein Hochzeitsgroßmarkt möchte mir Brautmoden verkaufen, und vor einer Bronzemanufaktur steht ein lebensgroßer Padre Pio. Zu Lebzeiten konnte dieser Heilige angeblich an zwei Orten gleichzeitig sein, mittlerweile findet man den Guten überall in Italien. Pio hat die linke Hand auf sein Herz gelegt, mit der rechten segnet er mich und vollbringt zur Feier des Tages ein kleines Wunder. Hinter der Kleinstadt ist die enge Landstraße für Autofahrer gesperrt: Ausgerechnet heute findet auf der Via Canossa ein Radrennen statt. Was für eine Ironie. Schwärme von Pedalrittern kommen mir entgegen. Es ist, als kehrten Contador, Jan Ullrich, Erik Zabel und all die anderen von der Burg Canossa zurück, wo sie endlich auf Knien um Vergebung für ihre Dopingsünden gebeten hätten.
    Hinter manchen Fahrergruppen rollen orangefarbene Lautsprecherwagen mit grellen Warnlichtern und neongelben Fahnen. «A destra, ragazzi!», hallt es in Rechtskurven, «A sinistra!» in den Kurven nach links. Natürlich ist niemand besonders glücklich darüber, dass ich mitten durch ein Pfingstrennen streune. Vor allem in den Serpentinen, wenn die Radler fast waagerecht auf dem Asphalt liegen und mit Tunnelblick durch die engen Kurven sausen, ist es heikel. Dann presse ich mich an den Rand der Straße, streiche über meine Glücksbringer in der Brusttasche, vertraue auf meine Wandererfahrung und den lieben Gott. Manche Fahrer beschimpfen mich, sie rufen «Cazzo!», «Vaffanculo!», «Figlio di puttana!», und auf eine Übersetzung möchte ich an dieser Stelle lieber verzichten. Ragazzi, wisst ihr denn nicht, dass hier der Spross einer glanzvollen Osnabrücker Fahrraddynastie marschiert? Ich bin im Namen des Herrn unterwegs, ich habe eine Mission, ich kann jetzt nicht aufgeben.
    Hinter dem Dorf Salvarano leuchtet ein blaues Straßenschild:
    Bedogno 3
    Canossa 5
    Noch fünf Kilometer bis Canossa, und mein Grinsen ist so breit wie das Haifischlächeln von Silvio Berlusconi. Wann habe ich mich jemals so sehr über ein doofes Straßenschild gefreut? Als wäre ich mit einer aufgescheuchten japanischen Touristengruppe auf Europa-Tournee, ziehe ich meine Kamera aus dem Rucksack und knipse einfach alles, was mir auffällt. Das dämliche Schild, die klatschroten Mohnblumen im Gras, die minzgrünen Lorbeerbäume und den Wein, der an den Hängen kurz vor der Blüte steht.
    Glückwunsch, ich habe diese Wanderung mal wieder perfekt getimt – pünktlich zur Mittagshitze beginne ich mit dem Aufstieg in die Berge, und die Strecke schraubt sich über viele Hügel schleichend nach oben, auf und ab, wieder auf und wieder ab. Es sind die vielleicht längsten fünf Kilometer meiner Reise, sie erinnern mich an den Weg des kleinen Glücks, Sudden Rush und den Schwächeanfall kurz vor Lanslebourg. Noch einmal stapfe ich durch ein erbarmungslos brütendes Solarium, Wolken sind nicht in Sicht, auf meiner schwarzen Kappe hat sich ein weißer Salzrand gebildet, meine langen Haare sind pitschnass, weiße Schlieren aus Sonnenmilch quellen aus den Poren meiner Stirn und
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