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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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hat der Stand-up-Comedian Beppe Grillo die Bürgermeisterwahl der Stadt gewonnen. Ein zorniges Rumpelstilzchen mit Vollbart und wilden grauen Locken, das seit Jahren mit dem satirischen Breitschwert auf das politische Establishment einschlägt. Zum Beispiel so: «Italien appelliert an die deutschen Brüder! Ihr seid unsere letzte Hoffnung. Schon jetzt schicken wir euch jeden Tag den Müll aus Kampanien – bitte nehmt uns auch die Politiker ab!» Manche vergleichen ihn mit Michael Moore, für mich ist er eher eine Kreuzung aus Jürgen von der Lippe, Fips Asmussen und Wolfgang Kubicki. Wie dem auch sei, der graue Giftzwerg hat große Ambitionen. Wer sind schon die Piraten? Grillos Spaßpartei soll landesweit bereits bei fünfzehn Prozent liegen. Und das trotz seiner etwas gewagten Nazi-Vergleiche: «Wir haben Stalingrad genommen», verkündet die Grille, «jetzt ziehen wir nach Berlin!»
    Vielleicht ist es nur Zufall, aber ich habe auf meiner Wanderung schon einige Regime fallen sehen. Aus Wulff wurde Gauck, aus Sarkozy wurde Hollande, und bevor die Grille Italien erobert, sollte ich vielleicht besser das Land verlassen. Es wird Zeit. Meine Wanderlust ist auf der Straße nach Mortara gestorben, und sagen wir es mal so: Auf den letzten Etappen war mir das Schlemmen wichtiger als das Schlendern. Auch wenn sich vieles auf meiner Reise relativiert hat, eine weise Erkenntnis aus der Wildnis zwischen Buxtehude und Zeven behielt bis zum Ende ihre Gültigkeit – Essen ist der Sex des Wanderers, und ich bin der italienischen Küche hoffnungslos verfallen. Wer braucht noch Bücher? Stundenlang könnte ich in den Speisekarten blättern: Caprese, Crostini, Tramezzini. Papardelle, Fettucini, Orecchiette. Saltimbocca, Scalloppine, Salsiccia. Panna cotta, Zabaione, Pignolata. All diese poetischen Speisen sättigen nicht nur, sie machen absolut selig. Das italienische Essen führt dich zurück in deine Kindheit. Es badet dich, es cremt dich ein, es wickelt, es stopft, es nimmt dich in den Arm und schmust mit dir. Zum Abschluss küsst dich das Dolce auf den Bauchnabel, hüllt dich in eine warme Decke und wiegt dich sanft in den Schlaf. Was bleibt, ist pures Glück. Und fehlt auch nur ein einziger Gang, so ist es nicht vollkommen.
    Meinen letzten Abend verbringe ich im «Ristorante di Canossa» in Reggio, zwanzig Kilometer vor dem Ziel. Von außen machte das Restaurant, freundlich gesagt, einen unscheinbaren Eindruck. Es war stockfinster. Erst dachte ich, es wäre geschlossen. Auch das Innere des Etablissements ist schlicht. Keine Kronleuchter, keine Ölgemälde, keine einsame Kerze auf dem Tisch. Auch kein Herz? Oh doch. Das Besondere in diesem Haus sind die Gastgeber. Es ist wunderbar, zu sehen, mit welcher Hingabe sie ihre Besucher verwöhnen. Sie schäkern, sie scherzen, sie flirten, sie bieten den Leuten das Beste, was sie haben, und das scheint sie selbst glücklich zu machen. Oder sie sind einfach verdammt gute Schauspieler. Wie auch immer: Endlich, endlich bekomme ich meine langersehnten Tortellini, die Spezialität der Region Emilia-Romagna.
    Der Anblick meiner «Tortelli», wie sie hier heißen, ist allerdings eine schwere Enttäuschung. Sie erinnern mich an die Dosenravioli aus meiner Studentenzeit. Vor mir liegen zwölf labbrige quadratische Teigtaschen, nicht etwa liebevoll arrangiert, sondern einfach auf den Teller geklatscht. Die Tortelli baden nicht in zerlassener Butter, von Soße keine Spur, da ist nur etwas Parmesan. Der Koch vertraut offenbar einzig und allein der Harmonie aus Nudelteig, Ricotta, Spinat und etwas Salz. Dafür bin ich also zu Fuß von Hamburg nach Italien gedackelt? Während ich den ersten Bissen nehme, fixiert mich eine Frau, die mit ihrer Familie am Nebentisch sitzt. Ich beginne zu kauen, und nun senkt sie ihre Lider und schenkt mir ein Lächeln. Vermutlich stellt sie sich vor, wie himmlisch diese Tortelli wohl schmecken mögen. Bald lächele ich zurück. In dieser Sekunde empfinden wir dasselbe Vergnügen, dieselbe Lust, wir sterben denselben kleinen, sinnlichen Tod. Nein, man sollte keine Teigtasche dieser Welt nur nach ihrem Äußeren beurteilen.
    Jetzt schiebt der Chef des Hauses den Carello von Tisch zu Tisch, einen dampfenden Servierwagen mit Pasteten, Roastbeef, Prosciutto, Kalbsbrust, Lamm und einigen weiteren Dingen, die ich nicht zuordnen kann. Auch diese Secondi Piatti genieße ich nicht allein. Es fühlt sich an, als säße ich mit allen anderen an einem großen, festlich gedeckten
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