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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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dem ersten Bauernhof stürmen drei Dackel auf mich zu, nehmen Verfolgung auf und kläffen mir lange nach. Erst als ich umdrehe und den Biestern mit meinen Wanderstöcken drohe, ist Ruhe im Karton. Immerhin werden die Hunde auf meiner Reise langsam kleiner.
    Ich laufe viele Kilometer durch eine Landschaft, wie ich sie eigentlich nur aus Asien kenne. Bis zum Horizont besteht die Welt nur noch aus Millionen und Milliarden kleiner grüner Stängel, die aus dem überfluteten Boden ragen. Blick nach links: Reisfelder. Blick nach rechts: Reisfelder. Oben kreisen die Reiher, und unten laufe ich, der letzte Samurai. Das beruhigt. Es ist schon verblüffend: Ich war immer der Meinung, unser Reis käme ausschließlich aus China, Indien oder Japan. Doch hier in der Po-Ebene werden jedes Jahr angeblich sechs Millionen Zentner geerntet. Vercelli gilt als «Reishauptstadt Europas», ein Drittel der europäischen Produktion kommt aus dieser Gegend, und ich ahne schon, dass es mit dem Klima zu tun haben muss.
    Es herrscht eine seltsame Stimmung. Die Luft ist schwer und drückend, die dunklen und hellen Flecken am Himmel ergeben ein merkwürdiges, apokalyptisches Mischlicht. Es ist wie an einem schwülen Sommerabend, schön und sentimental zugleich. Natürlich dauert es nicht lang, bis die ersten Tropfen fallen. Aus den Tropfen wird ein Bach, aus dem Bach ein Fluss, und bald sieht es so aus, als würde sich ein ganzes Meer aus dem Himmel auf die Felder ergießen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich meine Regenkleidung in Italien nicht mehr brauchen würde. Ich wollte sie schon nach Hause schicken. Doch jetzt flüchte ich mich unter einen Baum, ziehe das Cape über meinen Rucksack und schütze mich mit Gummihose und Windbreaker vor der Nässe. So wie am Rhein oder in Besançon oder im wilden Norddeutschland.
    Der Regen will nicht enden, er kommt von allen Seiten. Ich schließe meine Kapuze so weit, dass ich wie ein Ninja nur noch durch einen engen Schlitz blicke. In den Schleusen der Reisfelder gurgelt und gluckert es, und in den Kanälen staut sich das brackige Nass immer höher. Stundenlang treibe ich durch diese unwirkliche Wasserwelt, die Wolken werden immer düsterer, und es wirkt, als wolle der Tag schon jetzt wieder Nacht werden und mich verschlucken. Plötzlich endet der Feldweg an einem Fluss, und es geht nicht mehr weiter. Auf meiner Karte ist eine Brücke verzeichnet, doch ich kann sie einfach nicht finden, also muss ich umkehren, Kilometer zurückmarschieren und die Hauptstraße nehmen.
    Auf dem Weg dorthin durchquere ich ein Dorf. Eine Bäuerin lugt aus ihrer Tür und schließt sie wieder, ich grüße einen Mann, und er guckt mich an, als sei ich der erste Mensch, der ihm begegnet. Bald hüllt dichter Nebel die Gegend ein, und zum ersten Mal auf meiner Reise stiefle ich mit Warnweste und Signallicht über eine Landstraße. Die höchste Eskalationsstufe, die meine Ausrüstung zu bieten hat. Jeder Reifen, der durch die Pfützen schießt, fährt wie eine Schwertklinge durch mein Gehör, Wasser spritzt hoch, Fernlicht schlägt mir ins Gesicht. Trotz des Regens überholen sich die Wagen unentwegt. Manchmal wird es knapp, dann teilen sich für eine kurze Sekunde drei Autos die Fahrbahn. Wenn jemand jetzt einen Fehler macht, denke ich, dann endet die Reise hier für mich.
    Ich strecke den Daumen raus und versuche, eines der Fahrzeuge zu stoppen, doch sie rauschen alle an mir vorbei. So wie ich aussehe, würde ich mich auch nicht mitnehmen. Ich hätte Angst vor mir. Alles ist wie zu Beginn meiner Wanderung. Dasselbe Flachland, dieselbe Skepsis, dieselbe Qual. Ich bin also vor drei Monaten losgezogen, um wieder dort zu landen, wo ich hergekommen bin. Die Trecker, die tiefergelegten Proll-Karren, auch der Müll kehrt zurück. Im Straßengraben liegen Windeln und Red-Bull-Dosen, man raucht am Steuer «Diana» und besäuft sich mit Weißwein. Früher habe ich im Regen an Italien gedacht, jetzt denke ich an zu Hause. Ich weiß nicht mehr, wofür ich mir das hier antue. Was will ich mir noch beweisen? Muss ich noch nach Canossa gehen? Liegt mein Canossa nicht genau hier?
    Schlimmer kann es nicht mehr kommen, denke ich, und es kommt schlimmer. Meine Sohlen sind nicht mehr dicht, in den Schuhen mischen sich jetzt Wasser, Schweiß und Blut. Es fühlt sich an, als würde ich durch Risotto laufen. Und offenbar bekomme ich erste Halluzinationen. In einer Kurve mitten auf der Straße sitzt eine junge Frau mit Schirm auf einem weißen
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