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Sternenfaust - 181 - Flucht von der Erde

Sternenfaust - 181 - Flucht von der Erde

Titel: Sternenfaust - 181 - Flucht von der Erde
Autoren: Thomas Höhl
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    30. April 2258
    Erde, New York
    17.51 Uhr
     
    Langsam nahm Cody Mulcahy den Griff des Messers in die Hand.
    Er fühlte den glatten Kunststoff intensiver als sonst. Überhaupt schienen all seine Sinne schärfer geworden zu sein. Er spürte den Boden durch seine Schuhe. Er hörte kleinste Geräusche. Er fühlte, wie sich seine Muskeln verhärteten.
    »Willst du nicht die Kerze ausblasen?«, fragte Vater.
    Stimmt, da war ja noch eine kleine Kerze.
    »Ein alberner Brauch, ich weiß«, sagte Vater. »Wahrscheinlich zu kindisch. Aber tu es einfach trotzdem. Ein letztes Mal. Sozusagen als Abschied von der Kindheit.«
    Cody holte kurz Luft und blies die Kerze aus.
    Die Flamme verschwand. Die Spitze des Dochts glühte noch, und Cody betrachtete wie in Trance den stark riechenden Qualmfaden.
    »Ja, die Kindheit«, sinnierte Vater. Cody konnte ihm noch immer nicht ins Gesicht sehen. »Wusstest du, dass es bei alten Naturvölkern Rituale gab, wonach ein Kind mit dem vollendeten vierzehnten Lebensjahr als tot galt? Man glaubte, dass der Sprössling nun als Erwachsener wiedergeboren worden sei, und die Mütter des Stammes trauerten wie auf einer Beerdigung um den Tod ihres Kindes.«
    Den Tod ihres Kindes , hallte es in Codys Gedanken nach.
    »Natürlich«, fuhr Vater fort, »natürlich waren diese Rituale immer mit Schmerzen verbunden.«
    Nun war die Katze also aus dem Sack. Cody hätte am liebsten laut aufgelacht, und er hätte es wohl auch getan, wenn sein Körper ihm noch gehorcht hätte.
    »Ja, der Schmerz«, flüsterte Vater und fixierte ihn mit seinen boshaften Augen. »Die wohl intensivste Empfindung, die der Mensch je erfahren kann. Sogar noch intensiver – und vor allem dauerhafter – als Sex. Aber davon weißt du ja wahrscheinlich noch nicht viel!«
    Cody musste den Drang unterdrücken, angewidert den Kopf zu schütteln. Noch immer hielt er den Griff des Messers umklammert. Er konnte es einfach nicht über sich bringen, die Torte anzuschneiden.
    »Daher hat der Schmerz die Menschheit von Anfang an fasziniert«, sinnierte Vater weiter. »Schmerz, der eine innere Reinigung bewirkt. Schmerz, der Märtyrer erschafft. Schmerz, der die Sünden bestraft. Allein die Vorstellungen von der Hölle! Ein Ort ultimativer Schmerzen, die nie aufhören, denen man für alle Ewigkeiten ausgeliefert ist, ohne sterben zu können.«
    Noch immer bewegte sich Cody nicht. Er hörte die Stimme seines Vaters nur noch verschwommen. Das Rauschen nahm Überhand. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
    »Dabei kann der Schmerz selbst einem gar nichts anhaben!« Nun jubelte Vater geradezu, und fast schien es, als würde ihn allein das Gerede vom Schmerz euphorisch erregen.
    Cody wartete. Wobei er nicht wusste, worauf er wartete. Auf einen Superhelden? Auf jemanden, der kommen würde, um ihn in letzter Sekunde zu retten?
    Die Stimme seines Vaters klang wie aus weiter Ferne. »Wie heißt es doch: Wir müssen nur die Furcht fürchten. Der Schmerz selbst kann uns nichts tun. Gut, Menschen schwächerer Konstitution sterben vielleicht an einem Herzstillstand, aber das brauchen wir bei dir wohl nicht zu befürchten, nicht wahr? Es gibt nichts so Belastbares wie ein junges Herz. Natürlich könnte der Hirninnendruck mit der Zeit, nach sehr, sehr langer Zeit, zu hoch …«
    In diesem Moment zuckte Cody zusammen. Der Türmelder piepte.
    Cody hielt noch immer den Griff des Messers in der schweißnassen Hand umklammert. Er wartete. Hatte er sich das Geräusch nur eingebildet?
    Erneut das Summen des Türmelders.
    »Erwartest du jemanden?«, fragte Vater. Seine Stimme klang fast ein wenig verärgert, auch wenn er sich noch immer um einen heiteren Tonfall bemühte.
    Cody starrte wie hypnotisiert auf seine Faust, die unverändert das Messer gepackt hielt. Er drückte so fest zu, dass es ihm in den Fingern das Blut abschnürte und die Knöchel weiß anliefen.
    Dann ertönte ein Sirren, gefolgt von lautem Hämmern. Cody blickte nicht einmal auf. Es war, als wäre sein Körper in eine Starre verfallen, aus der er sich nie wieder würde befreien können.
    »Cody Mulcahy!«, rief eine weibliche Stimme. »Tu es nicht!«
    »Wir kommen nun rein!« Das hatte ein Mann gerufen.
    Cody konnte beide Stimmen nicht zuordnen. Und er konnte sich noch immer nicht bewegen. Er hielt den Kopf so still, dass sich seine steifen Halsmuskeln schmerzhaft verkrampften.
    Codys Vater runzelte wütend die Stirn, griff nach dem Dolorator und steckte ihn in seine Hosentasche.
    »Wer ist
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