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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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Urgroßvater, der wasserscheue alte Heinrich, ab sofort nicht mehr unter unserem Weihnachtsbaum, sondern auf den bröckelnden Resten des Castello Canossa. Dort, wo er hingehört.
    Mein Handy vibriert. «Glückwunsch, Schätzeken! Ich denke, du bist am Ziel», schreibt Lotte. Doch welches Ziel meint der Knallfrosch aus dem Kohlenpott? Ja, ich habe Canossa erreicht. Ja, die Tränen sind geflossen. Aber bin ich auf meiner Reise auch erwachsen geworden? Hoffentlich nicht. Ich lege den Rucksack ab, setze mich auf eine Mauer im Schatten einer Kiefer und blicke auf die letzte Außenwand der Burg Canossa.
    Ein wenig fühle ich mich wie der seltsame Kobold auf meinem Küchensims in Hamburg. Der hässliche kugelrunde Glücksbringer mit den riesigen Augenhöhlen erinnert übrigens an einen buddhistischen Mönch aus dem sechsten Jahrhundert. Daruma soll ein Freak gewesen sein, ein grimmiger Brummbär mit wildem Bartwuchs und weit hervorquellenden Augen. Er zog durch Asien und lehrte die Kunst des Yoga, der Meditation und des Zen. Manche behaupten sogar, er sei der Erfinder des Kung-Fu und anderer Kampfkünste. Um seinen Geist von negativen Gedanken zu reinigen, hockte er sich, in eine rote Decke gehüllt, unter einen Baum und starrte auf eine raue Felswand. Viele Jahre saß er so da. Er schlief nicht, er trank nicht, er aß nicht, er sprach nicht und blinzelte auch nicht mit den Augen. Weil der Mönch seine Arme und Beine nicht benutzte, bildeten sie sich allmählich zurück, doch das kümmerte ihn kein bisschen. Nichts konnte die Konzentration des Meisters stören. Nur einem einzigen Schüler gelang es kurzzeitig, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen – er hackte sich vor Darumas Augen einen Arm ab. Nach neun Jahren schlief der Mönch versehentlich ein. Als er wieder aufwachte, geriet er so sehr in Zorn über sich selbst, dass er sich vor Wut die Augenlider abschnitt. Wie es das ohne Arme schaffte, ist mir zwar nicht klar, aber auf diese brachiale Weise soll er eines Tages die Erleuchtung erlangt haben.
    Vielleicht ist jeder auf diesem Planeten ein kleiner Kobold, ein Daruma. Wir alle suchen nach innerem Frieden, Erfüllung und dem Sinn unseres Lebens. Die einen klettern auf alle Viertausender Europas, setzen ihr Geld an der Börse auf Rot oder Schwarz oder lassen sich die Brust mit glitschigen Plastikbeuteln vergrößern. Das macht sie glücklich. Andere heilen den Haarausfall ihrer Hunde mit Handauflegen, glauben an einen Tischler mit Monsterkropf, Segelohren und Fußnagel-Kugeln oder verfallen der grünen Fee. Manche konvertieren sogar zum Katholizismus und geißeln sich mit einem dreistündigen Oster-Marathon.
    Und ich? Ich bin einer fixen Idee hinterhergerannt, und manchmal erkenne ich mich äußerlich kaum noch wieder. Ich trage einen seltsamen, kräuseligen Fusselbart, der sich an den Seiten leicht rot färbt, und meine Ananas-Haare stehen unter der ausgeblichenen Castro-Kappe so weit ab wie die spitzen Ohren der Gremlins. Man müsste sich ernsthaft Sorgen um mich machen, wäre da nicht etwas in meinem Blick, dass mich jeden Morgen und jeden Abend aufs Neue freut, wenn ich in den Spiegel sehe: absolute Ruhe. Innerlich bin ich so sehr bei mir selbst wie schon ewig nicht mehr. Ich brauche keine Telefonkonferenzen, keine Deadlines, keine Meetings, keine Markenkerne, keine Sendeplätze, keine Quoten, keine Zielgruppen und auch keinen anderen Unsinn. Das alles hat hier und heute keine Bedeutung mehr für mich. Ich bin 1637 oder was weiß ich wie viele Kilometer zu Fuß gelaufen, und zwischen mir und meiner Welt in Hamburg liegt ein ganzes Universum. Alles, was ich noch brauche, sind Tortelli mit Ricotta, Spinat und einer Prise Salz. Und eine Liebe, die zu Hause seit elf Wochen, fünf Tagen und zwölf Stunden geduldig auf mich wartet. Wie sagte der Pfarrer noch gleich? Manche beten, manche fasten, manche geben Almosen. Und manche gehen eben nach Canossa.

[zur Inhaltsübersicht]
    Dank
    E s würde viel zu lange dauern, alle zu erwähnen, die mich auf meinem Gang nach Canossa unterstützt haben. Was soll’s, ich tue es trotzdem. Ich danke König Heinrich IV., ohne den dieses Buch gar nicht möglich gewesen wäre. Gunnar Schmidt für seine Vision, Marco Lange für seine Inspiration, Marc Mischke und Alberto Bolognesi für ihre ausgezeichnete Navigation durch die Alpen. Ganz besonders möchte ich mich bei den drei kreativen Franks bedanken: Frank Ortmann für seine Geduld, Frank Pöhlmann für seine Präzision, Frank Zauritz für
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