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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod
Autoren: Elke Schwab
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Laborergebnisse feststellen, wie fortgeschritten sein Alkoholismus schon ist«, meinte Dr. Wolbert.
    »Gut. Ich werde mich jetzt um diese mörderischen Zwillinge kümmern«, verkündete Schnur. »Du brauchst mich hier ja nicht mehr.«
    Dr. Wolbert lachte und meinte: »So nett ist mir von euch schon lange keiner mehr gekommen, dass er mir das ganze Feld allein überlässt.«

Kapitel 72
    Am frühen Dienstagmorgen fand sich Schnur zwischen Wänden voller grellbunter Bilder. Das war genau das, was Schnur von einem Gefängnis nicht erwartet hätte. Er saß allein auf einem der unbequemen Stühle und wartete auf Fred Recktenwald. Die Zeit kam ihm endlos lange vor. Schnur spürte eine Ungeduld in sich, die für seine Konzentration schädlich sein konnte. Aber jeglicher Versuch, sich innerlich zu beruhigen, scheiterte an den Gemälden mit ihren rastlosen Motiven. Er hatte in seiner Verzweiflung vergessen, Forseti über diesen Schritt zu informieren. Bei dem Gedanken, wie der Kriminalrat wohl reagieren würde, sobald er davon erfuhr, fühlte sich Schnur noch rastloser.
    Sollte er einfach umkehren mit dem Argument, etwas Wichtiges sei dazwischengekommen? Doch genau in diesem Augenblick ging die Tür auf und Fred Recktenwald trat begleitet von einem Vollzugsbeamten herein.
    Vergessen war der Gedanke, unauffällig zu verschwinden.
    Fred Recktenwald sah noch blasser aus. Seine grauen Haare standen wirr vom Kopf ab, seine Augen waren gerötet. Zum Glück musste er keine Gefängniskleidung tragen. In seiner Jeans mit Hemd wirkte er natürlicher als in seinem merkwürdigen Nadelstreifenanzug, den er immer mit Überzeugung getragen hatte.
    »Wir haben endlich von Ihrem Zwillingsbruder Friedolinus Kalkbrenner erfahren«, begann Schnur, nachdem sie sich begrüßt hatten.
    Recktenwald riss die Augen weit auf.
    »Warum haben Sie uns Ihren Bruder verschwiegen?«
    Recktenwald starrte Schnur nur an.
    »Wir wissen jetzt auch, dass Friedolinus Kalkbrenner der Mörder ist. Nicht Sie.«
    Damit entlockte er Fred endlich eine Reaktion. »Lassen Sie meinen Bruder in Ruhe! Er hat nichts getan.«
    »Leider wissen wir es besser. Er hat nämlich in der letzten Nacht den Lehrer Günter Laug ermordet.«
    »Günter Laug?«
    »Den Mathelehrer.«
    »Ich weiß, wer Günter Laug ist«, gab Fred unfreundlich zurück. »Aber das kann nicht sein. Günter Laug ist durch mich gestorben. Sie haben ihn erst jetzt gefunden.«
    »Warum tun Sie das für Ihren Bruder?«
    Mit dieser Reaktion des Polizeibeamten hatte Fred nicht gerechnet. Er sank in seinem Stuhl zusammen und starrte Jürgen Schnur nur an.
    »Ihr Bruder hat seine Wohnung in Rüsselsheim vor einem Monat gekündigt, weil er seine Arbeit bei Opel verloren hat«, erzählte Schnur. »Sie haben für ihn die zweite Hälfte Ihres Hauses freigehalten, damit er eine Bleibe hat, wenn er nach Saarlouis zurückkommt. Das hat er getan – vor einer Woche. Und genau vor einer Woche haben die Lehrermorde begonnen. Jetzt will ich von Ihnen wissen, was der Auslöser für Friedolinus Kalkbrenner war, die Lehrer zu töten. Dass es seine Erlebnisse aus der Schulzeit waren, können Sie mir nicht weismachen.«
    »Halten Sie Linus da raus!«, befahl Fred noch mal. »Ich habe die Lehrer getötet. Nicht er.«
    »Warum tun Sie das für ihn? Er würde Sie hier im Knast schmoren lassen – im Gegenzug dazu sind Sie bereit, für Ihren Bruder in den Knast zu gehen.«
    Eine Weile geschah nichts. Nur die Geräusche aus der Gefängnisanstalt drangen leise zu ihnen durch. Bis sich Fred räusperte und sagte: »Sie wissen nicht, wie das Leben aussieht, wenn man keinen Menschen auf der Welt hat.«
    Schnur staunte. Er hatte mit allem gerechnet – nur nicht damit.
    »Es stimmt, dass ich als Kind auf den Kopf gefallen bin. Und das war schlimmer, als es nach außen hin aussah. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich wieder integrieren konnte. Aber meine Adoptivmutter hat keine Ruhe gegeben. Sie wollte nach außen alles ganz normal aussehen lassen. Wollte allen zeigen, dass ich so gesund und intelligent wie jedes andere Kind im Dorf sei. Deshalb schickte sie mich ins Gymnasium. Damit hat sie mich gnadenlos überfordert.«
    Eine Pause trat ein.
    Schnur beschloss, ruhig zu sein, um damit sein Gegenüber zum Weitersprechen zu animieren. Sein Plan ging auf.
    »Im Gymnasium wurde es richtig schlimm. Alle merkten, dass ich für die Anforderungen zu doof war. Nur einer hielt zu mir.«
    »Friedolinus Kalkbrenner.«
    »Richtig. Er hat mir bei den
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