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Galgentod

Galgentod

Titel: Galgentod
Autoren: Elke Schwab
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wieder lebendiger und sympathischer aussah.
    »Jetzt können Sie Ihrem Bruder nur noch helfen, indem Sie uns helfen. Seine Flucht macht nämlich alles noch schlimmer. Was glauben Sie, wo er sich verstecken will?«
    »Bei sich zuhause in Rüsselsheim«, schlug Fred vor.
    »Diese Wohnung hat er gekündigt, weil er bei Opel entlassen worden ist.«
    »Dann wissen Sie mehr über meinen Bruder als ich.«
    »Fällt Ihnen sonst nichts mehr ein?«
    »Höchstens die Wohnung von Yannik Hoffmann in Saarbrücken. Dort fühlt sich Mirna wie zuhause.«
    Schnur bezweifelte das zwar, weil diese Wohnung direkt neben Eriks Wohnung lag, gab die Adresse aber trotzdem seinen Kollegen durch. Sicher ist sicher, dachte er sich.

Kapitel 73
    Andrea saß an Eriks Krankenbett und schaute auf den schlafenden Mann. Seine Hände waren am Rand des Bettes festgebunden, weil er immer wieder versuchte, seine Bandagen vom Hals zu reißen.
    Das sah schrecklich aus.
    Die Ärzte hatten ihr erklärt, diese Maßnahme sei wichtig, weil er sich selbst schwere Verletzungen am Kehlkopf zufügen könnte. Der obere und vordere verknöcherte Rand des Schildknorpels am Kehlkopf waren durch den Druck der Schlinge eingedrückt worden, wodurch sogar die Stimmlippen in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch das Zungenbein hatte leichte Einrisse aufgezeigt, weshalb es für die Heilung wichtig war, dass der Hals erschütterungsfrei blieb. Nach Aussage der Ärzte könnte Erik ersticken, sollte das Zungenbein durchbrechen und in die Luftröhre gelangen.
    Seufzend wanderte Andreas Blick wieder auf die Bandage am Hals. Welche Tortour hatte er über sich ergehen lassen müssen? Der Gedanke machte sie schwermütig. Bisher war Erik noch nicht aufgewacht, was die Ärzte der Narkose zuschrieben, die sie ihm geben mussten, weil sie kleinere Eingriffe am Kehlkopf und am Hinterkopf machen mussten.
    Die Frage, wie jemand den großen und starken Erik überwältigen konnte, war damit beantwortet. Der Täter hatte ihn von hinten k.o. geschlagen. Danach hatte Erik vermutlich immer noch nicht aufgegeben, was ein Hämatom an der Schläfe verriet. Der Riss in der hinteren Schädelwand sprach für rohe Gewalt.
    Zum Glück beschränkten sich auch dort die Verletzungen nur auf den Knochen. Die Dura Mater, die äußerste Hirnhaut, lag schützend zwischen dem Knochen und dem Gehirn, weshalb sämtliche Untersuchungen – ob Computertomographie, EEG oder Kernspintomographie – keinerlei Befunde wie Blutungen oder Contre-coup am Gehirn gezeigt hatten. Blieb nur zu hoffen, dass Erik kein seelisches Trauma erlitten hatte. Aber das wäre erst dann festzustellen, wenn Erik wieder sprechen konnte – sich äußern konnte, was passiert war und wie er sich dabei fühlte.
    Und darauf wartete und hoffte Andrea.
    Dass Erik endlich aufwachte und ihr sagte, mit ihm sei alles in Ordnung.
    Aber leider würde das schon aus dem einfachen Grund nicht so bald passieren, weil Erik wegen seiner Verletzung an den Stimmbändern in der nächsten Zeit nicht sprechen durfte.
    Schon wieder entfuhr Andrea ein Seufzen. Dieses Mal so laut, dass die Tür aufging.
    Sie schämte sich. Hoffentlich hatte sie damit keine Schwester aufgeschreckt. Sie versuchte, nicht hochzuschauen, weil sie befürchtete, dass die Schwester mit ihr schimpfen würde, weil sie sich so auffällig benahm. Doch die Stimme, die ertönte, kam Andrea vertraut vor. Also hob sie doch den Kopf, um nachzusehen. Das war keine Schwester – der Besucher war Jürgen Schnur.
    *
    »Wie geht es ihm?«, fragte Schnur zur Begrüßung. Andreas Verfassung hatte er zum Glück nicht bemerkt.
    Sie gab ihrem Vorgesetzten alles wieder, was die Ärzte über Eriks Zustand gesagt hatten.
    Schnur sah mit jedem Wort zerknirschter aus. Nachdem Andrea geendet hatte, fragte er: »Wissen wir, wie lange Erik in dieser aussichtslosen Situation zwischen Barren und Schlinge gestanden hat?«
    »Nein. Aber seine körperliche Verfassung verrät, dass es länger war, als für einen Menschen eigentlich zumutbar. Seine Muskulatur ist an Armen und Beinen total übersäuert, was seine Blutwerte verraten. Das ist ein Zeichen für eine lange Überanstrengung.«
    Schnurs Blick wanderte zu dem Kollegen. Sein Gesicht war eingefallen und seine Sonnenbräune den dunklen Schatten eines beginnenden Bartes gewichen. Seine sonst immer muskulösen Arme lagen dünn und kraftlos in den Fesseln, die sie ans Bettgestell fixierten. Ein Anblick, der Schnur noch mehr zusetzte.
    Rasch wandte er den Blick ab,
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