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Galaxis Science Fiction Bd. 11

Galaxis Science Fiction Bd. 11

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 11
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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holte einen Stuhl und stellte ihn neben das Bett. »Was gefällt dir denn nicht? Das ist der erste, den du noch lebend vor dir hast, vergiß das nicht. Bist du noch nicht zufrieden?« Er sah mich ganz verärgert an. »Außerdem kannst du vielleicht ein paar biographische Daten aus seinem Delirium herausbekommen, an die du nie herankommen würdest, wenn er bei Bewußtsein wäre.«
    ER hatte natürlich recht. Nicht nur das, sondern auch Wünsche, Abneigungen, Verdrängungen, die normalerweise unterdrückt würden. Doch im Moment dachte ich nicht an meine Schauspielerei. Hier lag jemand, der mir sagen konnte, was ich wissen wollte – nur konnte er nicht reden.
    Lou ging zur Tür. »Viel Glück«, sagte er und ließ mich allein.
    Ich setzte mich hin und starrte den alten Mann an, versuchte ihn zum Reden zu zwingen. Ich brauche Sie wohl nicht zu fragen, ob Sie das auch schon mal versucht haben. Jeder hat es wohl. Wieder und wieder kreisen die gleichen Sätze durch Ihr Gehirn. »Sprich doch endlich, verdammt, sprich!«, bis jeder Muskel in Ihrem Körper vor Anstrengung zittert und Ihre Kinnbacken schmerzen, so fest haben Sie die Zähne aufeinander gebissen. Meistens ist es vergebliche Liebesmüh’, aber ab und zu scheint Ihnen doch ein Zufall vorzugaukeln, daß Sie Erfolg hatten. So wie jetzt.
    Der alte Mann schien zu sich zu kommen. Das heißt, er öffnete seine Augen und schaute sich um, ohne jedoch wirklich, etwas zu sehen. Vielleicht auch sah er etwas. Das aber war dann so weit entfernt und schon so lange vergangen, daß niemand außer ihm es sehen konnte.
    Ich beugte mich vor und konzentrierte mich noch mehr. Nichts geschah. Er starrte zur Decke empor und dann mich an und durch mich hindurch. Dann klappten seine Augendeckel wieder herunter, und ich ließ mich enttäuscht in meinen Stuhl zurückfallen. Ich war ganz verzweifelt – aber gerade in diesem Moment begann er zu sprechen.
    Ich hörte ein paar Frauennamen, obwohl es auch die Namen kleiner Mädchen aus seiner Kindheit gewesen sein können. Dann betete er um einen Spielzeugzug, ein Auto, darum, daß er seine Prüfungen bestehen würde, daß er nicht entlassen werden und weniger einsam sein würde. Dann wieder zurück zu den Spielsachen. Er haßte seinen Vater, und seine Mutter war viel zu beschäftigt mit anderen. Dingen außerhalb ihres Haushaltes, um sich viel um ihn kümmern zu können. Er hatte eine Schwester; sie starb, als er noch klein war. Er war froh über ihren Tod, hoffte er doch, daß seine Mutter jetzt mehr Zeit für ihn hatte. Aber gleichzeitig quälte ihn wegen dieser Freude das Gewissen. Dann hatte er das Gefühl, daß ihn jemand von seinem Arbeitsplatz verdrängen wollte.
    Er phantasierte ungefähr eine Viertelstunde lang, dann schlief er ein. Ich hätte vor Enttäuschung heulen können. Ich fühlte mich fast versucht, ihn wachzuprügeln, nur hätte das nicht das geringste genützt. Ich konnte nicht einmal eine Pfeife anzünden, um meine Nerven ein bißchen zu beruhigen. Rauchen war verboten, und ich wagte nicht, nach draußen zu gehen, aus Angst, etwas zu versäumen.
    PLEITE!« wimmerte er plötzlich und versuchte sich aufzurichten. Ich drückte ihn sanft auf sein Lager zurück, und er fuhr mit jammernder Stimme fort: »Alt und arm. kein Dach überm Kopf, niemand will mich, kann nichts mehr verdienen, jeden Tag les’ ich die Zeitung, keine Arbeit für alte Männer.«
    Seine gestammelten Worte berichteten von Wochen, Monaten, Jahren – was weiß ich – voller Furcht und Verzweiflung. Endlich kam er auf etwas zu sprechen, das sein Gesicht aufleuchten ließ. »Eine Anzeige, Vorkenntnisse nicht erforderlich, gutes Gehalt.« Sein Gesicht verfinsterte sich wieder. Alles, was er noch sagte, war ›El Greco‹ oder so etwas Ähnliches, und dann wurde es wieder still.
    Sein Atem kam keuchend. Es konnte nicht mehr lange dauern.
    Ich klingelte der Schwester, und sie lief, um den Doktor zu holen. Ich konnte die langen Augenblicke kaum ertragen, in denen die Brust des alten Mannes plötzlich aufhörte, sich zu heben und zu senken; den Anblick des zittrigen welken Mundes, der vergebens nach Luft schnappte. Ich wollte weg, bloß um das nicht mit ansehen zu müssen, aber ich konnte nicht. Ich mußte warten, ob er nicht doch noch etwas sagen würde.
    Es kam nichts mehr. Seine Augen verschleierten sich und rollten nach oben, und der rasselnde Atem verstummte.
    Die Schwester kam mit dem Arzt zurück, der seinen Puls fühlte und den Kopf schüttelte. Dann zog
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