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Gabriel oder das Versprechen

Gabriel oder das Versprechen

Titel: Gabriel oder das Versprechen
Autoren: Wolfgang Voosen
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deren Wohnungen abgepasst und es
war für ihn ein Leichtes, sie zu einem Kaffee
einzuladen.«
    »Ja, aber wenn er sie doch
eingeladen hat, dann doch nicht in deren Wohnungen?!«
    »Mensch, Marc, überleg doch mal. Du
bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen! Ganz zufällig traf man
sich vor dem Haus, wo das Opfer wohnte und da … » »Jetzt habe ich
kapiert. Da kam dann der
›Den-Kaffee-können-wir-doch-auch-bei-mir-trinken-Hinweis‹ und schon
war er in der Wohnung des jeweiligen Opfers. Ganz schön ausgebufft.
Aber so wird's gewesen sein!«
    *
    Inzwischen waren sie in die
Emilienstraße eingebogen. Gerade hatten sie ihre Position vor dem
Schulgebäude - schräg gegenüber dem Hauseingang von Sandras Wohnung
- bezogen, als sie mit ihrem Tigra um die Ecke bog, ihren Wagen
wendete und direkt vor dem Haus anhielt. Niko Altmann und sie
stiegen aus und gingen zum Hauseingang. »Das scheint ja eine ruhige
Nacht zu werden«, sagte Fassbinder.
    »Glaube ich eher nicht, wie ich die
Beiden einschätze«, meinte Marc grinsend. »Mit ihm würde ich jetzt
liebend gerne tauschen!«
    »Erinnerung an alte Zeiten? Lass das
nicht Esther hören. Aber im Ernst, ich meine natürlich unsere
Nachtwache!«
    »War mir schon klar!«
    Sie flachsten noch ein wenig hin und
her, als Marc seinen Chef anstieß. »Von wegen! Das verstehe ich
jetzt aber nicht«, meinte er und deutete auf Niko, der die Straße
bergab in Richtung Barmer Bahnhof ging, nachdem er sich an der
Haustür von Sandra verabschiedet hatte. »Wahrscheinlich holen sie
morgen an ihrem Geburtstag alles nach.
Vergiss nicht, samstags hat sie immer einen ziemlich strammen
Arbeitstag vor sich.«
    »So wird's sein.«
    Sie schauten noch nach oben und
waren beruhigt, als kurz danach das Licht anging.

 
    58
    Emilienstraße 31, Freitag, 5. Juni,
23.30 Uhr
    Schon seit mehr als einer Stunde saß
er auf den unteren Stufen der Kellertreppe. Er fror. Von den
frühlingshaften Temperaturen des Tages hatte er sich täuschen
lassen. Nur mit einem dünnen Pulli und einer leichten Sommerhose
bekleidet war er viel zu dünn angezogen. Das Warten verstärkte sein
Empfinden und er nahm die Kälte stärker wahr. Zum Schutz hatte er
sich schon ein paar Zeitungen, die er im Kellervorraum fand, auf
die Stufen gelegt und sich darauf gesetzt.
    Das Taxi hatte ihn zum Barmer
Bahnhof gebracht, von wo aus er die kurze Strecke bis zum Haus in
der Emilienstraße zu Fuß gegangen war. Vorsicht hatte ihn bewogen,
sich nicht bis ganz zu seinem Ziel bringen zu lassen. Aus demselben
Grund war er in Elberfeld auch bis zur Kasinostraße gelaufen und
hatte erst dort ein Taxi zu sich herangewunken.
    Vor dem Haus angekommen, hatte er
sich vergewissert, dass in der Wohnung noch kein Licht brannte.
Auch sein Klingeln blieb ohne Reaktion. Er hatte auch nicht
erwartet, dass sie schon zu Hause sein würde. Tief in Gedanken
versunken saß er auf der Treppe. Er dachte zurück an die
Begegnungen, die schon hinter ihm lagen. An die Zwiegespräche, die
er mit den Sünderinnen geführt hatte. Wie klein und erbärmlich sie
doch allesamt waren. Nichts war geblieben von ihrem Stolz. Um Gnade
hatten sie gewinselt. Um Gnade! Ja, Gnade konnte er ihnen im
Auftrag des Herrn zuteil werden lassen. Er hatte sie gereinigt von
ihrer Schuld. Durch ihn hatten sie ihre Unschuld wiedererlangt.
Sein Schwert - wieder strich er wie so oft vorsichtig über die
Klinge seines Faustmessers, das in seinem Schoß lag - hatte sie
erlöst. Der Tod hatte ihnen den Frieden
geschenkt.        
    Er schreckte hoch. Doch die einzigen
Geräusche, die an sein Ohr drangen, waren die vorbeifahrender
Autos. Wo bleibt sie nur? Was wäre, wenn sie nicht käme? Wenn sie
die Nacht bei ihm verbrächte? Müsste er seinen Plan dann ändern?
Würde das nicht ein großes Risiko bedeuten? Er war sich sicher,
dass die Polizei inzwischen seine Hinweise verstanden hatte. Aber
dann müsste sie auch davon ausgehen, dass er seine nächste Mission
wie üblich erst mittags vollenden würde. Bis dahin blieb ihm also
noch Zeit.
    Dennoch beschlich ihn Furcht. Wie so
häufig, wenn er nicht weiter wusste, suchte er Hilfe im stummen
Gebet. Oh, Herr, gib mir ein Zeichen. Hilf mir, dir gerecht zu
werden! Hilf mir, deinen Befehl auszuführen. Zeige mir den Pfad,
den ich gehen muss. Ich bin mit Blindheit geschlagen, doch du wirst
mir die Augen öffnen, wie du es immer getan hast, wenn ich
verblendet war. Wieder schreckte er hoch. Hatte der Herr ihn
erhört? War das das Zeichen, das er ihm
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