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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic
Autoren: William Gibson
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die Messer einer tieferen Dunkelheit. Es ist ein Ort für Hinterhalte, hierher kommen Wölfe, um den schwächeren Schafen aufzulauern. Er hat keine Angst vor Wölfen, auch nicht vor anderen Raubtieren, die die Stadt schicken könnte, weder heute noch in einer anderen Nacht.
    Er beobachtet diese Dinge einfach im Hier und Jetzt.
    Doch nun erlaubt er sich, den Anblick vorwegzunehmen, der ihn hinter dem letzten Rhomboid erwartet: der irrwitzige Schlund der Brücke, das Tor zu Traum und Erinnerung, wo Fisch-händler ihre Ware auf schmutzigen Eisbetten auslegen. Ein ewiges geschäftiges Treiben, ein Kommen und Gehen, für ihn der eigentliche Pulsschlag der Stadt.
    Und tritt hinaus in unerwartete Helligkeit, in den grellen Schein roter Pseudo-Neonschlangen über sanft geschwungenem Singapur-Kunststoff.
    Die Erinnerung ist entweiht.
    Jemand drängt sich an ihm vorbei, zu nah, ohne ihn zu sehen, und stirbt beinahe – die Magneten lösen sich mit jenem leisen Klicken, das er eher fühlt als hört. Aber er zieht das Messer nicht ganz, und der Betrunkene taumelt achtlos weiter.
    Er fixiert das Heft wieder und starrt diese neueste Zumutung düster an: LUCKY DRAGON schlängelt sich in nichts sagender Schrift an einer Art Finne oder Mast mit einem Sockel aus Dutzenden flimmernder Fernsehschirme empor.
    29

5
MARIACHI-RAUSCHEN
    ie hat dich also wegen ‘nem Fernsehproduzenten sitzen las-Ssen «, sagte der Country-Sänger und schob den Rest der drei-zehn Unzen Wodka wieder in den Bund seiner indigoblauen Jeans, die so neu war und so stramm saß, dass sie beim Gehen knarzte. Der konkav gewölbte Flachmann steckte hinter einer antiken Schnalle, die einer gravierten Erinnerungsplakette ähnelte, einem Ding, das irgendwer mal fürs Einfangen von Kälbern mit dem Lasso oder eine ähnliche Wettkampfart gewonnen hatte, wie Rydell vermutete. Er fuhr das Seitenfenster einen Spaltbreit herunter, um die Dünste hinauszulassen.
    »Produktionskoordinator«, sagte Rydell. Er wünschte, der Wodka würde seinen Beifahrer, dessen Name Buell Creedmore lautete, wieder wegdämmern lassen. Der Mann hatte fast die ganze Fahrt die Küste entlang geschlafen und dabei leise vor sich hinge-schnarcht, was Rydell durchaus recht gewesen war. Creedmore war ein Freund oder vielleicht eher Bekannter von Durius Walker.
    Durius war früher mal Drogenhändler in South Central gewesen und selber süchtig geworden. Seit seinem Entzug verbrachte er viel Zeit mit anderen, die ebenfalls Drogenprobleme hatten, und versuchte, ihnen zu helfen. Rydell nahm an, dass Buell Creedmore auch zu ihnen gehörte, obwohl der Mann, soweit er sehen konnte, im Grunde bloß ein Säufer war.
    »Da ist dir doch garantiert der Kaffee hoch gekommen«, sagte Creedmore, die Augen vom Suff geschlitzt. Er war ein kleiner, leicht gebauter Mann, besaß aber jene sehnigen Muskeln, die nie ein Fitness-Center von innen gesehen hatten. Bauarbeitermuskeln.
     
    30
    Mehrere Schichten Rydells Ansicht nach künstlicher Bräune ver-schlissen sich über einer natürlichen Blässe. Gebleichte Haare mit dunklen Wurzeln waren mit einem Produkt, das ihnen ein permanent duschfrisches Aussehen verlieh, nach hinten ge-klatscht. Er kam jedoch nicht aus der Dusche, und er schwitzte trotz der Klimaanlage.
    »Na ja«, sagte Rydell, »ich dachte, wenn sie’s so will ...«
    »Was ist das denn für ‘n scheißblöder liberaler Stuss?«, fragte Creedmore. Er zog die Flasche aus seinem Hosenbund und musterte den restlichen Schnaps mit schmalen Augen, als wäre er ein Zimmermann, der eine Wasserwaage überprüfte. Der Schnaps schien seinen Maßstäben diesmal nicht gerecht zu werden, darum steckte er ihn wieder an seinen Platz hinter der Erinnerungsplakette. »Was bist du überhaupt für ‘n Mann?«
    Rydell trug sich kurz mit dem Gedanken, am Straßenrand zu halten, Creedmore bewusstlos zu prügeln und ihn neben der Five liegen zu lassen. Sollte er doch sehen, wie er nach San Francisco kam. Aber er tat es nicht und sagte auch nichts.
    »Dieses Schlappschwanzgetue, das isses doch, was Amerika heutzutage kaputtmacht.«
    Rydell dachte an verbotene Würgegriffe, an eine kurze, gezielte Abschnürung der Halsschlagader. Vielleicht würde Creedmore sich nicht mal dran erinnern, dass Rydell das getan hatte. Aber die Narkose würde nur von begrenzter Dauer sein oder jedenfalls nicht lange genug anhalten, und in Knoxville hatten sie Rydell beigebracht, dass man nie wissen konnte, wie ein Säufer reagierte.
    »He, Buell«, fragte
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