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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic
Autoren: William Gibson
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Missbilligung. Seine Brille hat ein schweres schwarzes Plastikgestell und archaisch dicke Gläser.
    Die Gläser fangen das Licht ein.
    Yamasaki kriecht gehorsam in den Karton und spürt, wie die Türklappe hinter ihm zufällt. Er widersteht dem Drang, sich auf Händen und Knien zu verbeugen.
    »Er wartet schon«, sagt der Alte. Die Pinselspitze schwebt über der Figur in seiner Hand. »Da drin.« Nur mit einer Kopfbewe-gung.
    Yamasaki sieht, dass der Karton mit Versandrollen verst ärkt worden ist, ein System, das die traditionelle japanische Ständerwerk-Architektur widerspiegelt. Die Rollen sind mit irgendwo aufgelesenem Polyband verschnürt. Zu viel ist hier in diesem winzigen Raum. Handtücher, Decken, Kochtöpfe auf Pappborden.
    Bücher. Ein kleiner Fernseher.
    »Da drin?« Yamasaki deutet auf etwas, was er für eine weitere Tür hält. Es sieht aus wie ein Eingang zu einem Verschlag. Der Eingang ist mit dem schmutzigen Rechteck einer melonengelben 9
    Schaumstoffdecke verhängt, einer Decke, wie man sie in Kapsel-hotels findet. Aber die Pinselspitze senkt sich und berührt das Modell, der Alte ist wieder in der dazu erforderlichen Konzentration versunken, und so kriecht Yamasaki auf Händen und Knien durch den absurd kleinen Raum und zieht das Stück Decke beiseite. Dunkelheit.
    »Laney-san?«
    Etwas, was wie ein zerknautschter Schlafsack aussieht. Er riecht Krankheit...
    »Ja?« Ein Krächzen. »Hier drin.«
    Yamasaki holt tief Luft, kriecht hinein, schiebt sein Notebook vor sich her. Als die melonengelbe Decke wieder vor den Eingang fällt, schimmert Helligkeit durch das Synthetikgewebe und den dünnen Schaumstoffkern wie tropisches Sonnenlicht, das man aus der Tiefe einer Korallengrotte sieht.
    »Laney?«
    Der Amerikaner stöhnt. Dreht sich anscheinend um oder setzt sich auf. Yamasaki kann es nicht sehen. Etwas bedeckt Laneys Augen. Das rote Blinken einer Diode. Kabel. Das schwache Glimmen des Interface, das sich als dünne Linie auf Laneys schweiß-
    glattem Wangenknochen spiegelt.
    »Ich bin jetzt tief drin«, sagt Laney und hustet.
    »Tief worin?«
    »Die sind Ihnen doch nicht etwa gefolgt, wie?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Ich würde es merken.«
    Yamasaki spürt, wie ihm auf einmal der Schweiß aus beiden Achselhöhlen rinnt und an seinen Rippen hinabläuft. Er zwingt sich zu atmen. Die Luft hier drin ist dick und übel riechend. Er denkt an die siebzehn bekannten Arten multiresistenter Tuberku-lose.
    Laney holt rasselnd Luft. »Aber sie suchen nicht nach mir, oder?«
    »Nein«, sagt Yamasaki, »sie suchen nach ihr.«
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    »Die finden sie nicht«, sagt Laney. »Nicht hier. Nirgendwo.
    Nicht jetzt.«
    »Warum sind Sie weggelaufen, Laney?«
    »Das Syndrom«, sagt Laney und hustet erneut, und Yamasaki fühlt das ruhige, tiefe Beben einer Magnetschwebebahn, die irgendwo weiter unten in der Station einfährt, keine mechanische Vibration, sondern ein enormer Kolbenhub verdrängter Luft. »Es hat jetzt doch noch gewirkt. Das 5-SB. Der Lautlose-Jäger-Effekt.« Yamasaki hört eilige Schritte, vielleicht eine Armeslänge entfernt, hinter der Pappwand.
    »Davon bekommen Sie Husten?« Yamasaki blinzelt, so dass seine neuen Kontaktlinsen unangenehm ins Schwimmen geraten.
    »Nein«, sagt Laney und hustet in seine blasse, erhobene Hand, »ist irgend so ‘n Virus. Den haben hier unten alle.«
    »Ich habe mir Sorgen gemacht, als Sie verschwunden sind. Die haben angefangen, nach Ihnen zu suchen, aber als sie weg war...«
    »... war die Kacke richtig am Dampfen.«
    »Kacke?«
    Laney nimmt den klobigen, altmodischen Datenhelm ab. Yamasaki kann nicht erkennen, woher er seinen Input bekommt, aber im sich verlagernden Licht des Displays zeichnen sich Laneys tief in den Höhlen liegende Augen ab. »Alles verändert sich, Yamasaki. Die Mutter aller Knotenpunkte kommt auf uns zu. Ich kann sie jetzt sehen. Alles wird anders.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Wissen Sie, was der Witz ist? Nichts hat sich verändert, als sie’s erwartet haben. Das Millennium war einfach ein christlicher Feiertag. Ich hab mich mit Geschichte beschäftigt, Yamasaki. Ich kann die Knotenpunkte in der Geschichte sehen. So einen wie den hier gab’s zuletzt 1911.«
    »Was ist 1911 passiert?«
    »Alles ist anders geworden.«
    »Wie?«
    »Einfach so. So läuft das nun mal. Das sehe ich jetzt.«
    11
    »Laney«, sagt Yamasaki, »als Sie mir vom Lautlosen-Jäger-Effekt erzählt haben, haben Sie gesagt, die Opfer, die Testpersonen, würden sich auf eine
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