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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem
Autoren: Kerstin Gier
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gefunden hatte, für 50 Cents, »weil die Schrift kann ja kein Schwein lesen«, hatte der Verkäufer gesagt. »Und reingekrickelt hat da auch noch wer.«
    Ich war nicht besonders scharf auf Thomas Mann, und seitenlange Schachtelsätze in Sütterlin-Schrift las ich nur, wenn es unbedingt sein musste, daher hatte ich das Buch bei eBay eingestellt, und ein Antiquar aus Hamburg hatte es für zweitausendfünfhundert Euro ersteigert. Dem Kauf eines Notebooks hatte nun nichts mehr im Weg gestanden.
    Normalerweise habe ich nicht so viel Glück.
    Eigentlich nie.
    Ich sah Schachtel für Schachtel sorgfältig durch und hatte am Ende nicht weniger als dreizehn zur Seite gelegt. Dreizehn unangetastete Packungen voller Schlaftabletten. Ich stapelte sie zu immer neuen Formationen auf meinem Küchentisch und konnte meinen Blick kaum von ihnen wenden. Sie trugen hübsche Namen wie Noctamid,Remestan, Rohypnol und Lendormin. Von einigen war noch nicht mal das Haltbarkeitsdatum überschritten.
    Es waren so viele Tabletten, dass die einzige Schwierigkeit darin liegen würde, die letzten zu schlucken, bevor die erste wirkte. Aber das traute ich mir durchaus zu: Schnell essen war noch nie ein Problem für mich gewesen, ja, ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass »schnell essen« eine meiner herausragenden Fähigkeiten ist.
    Ich merkte, dass ich unter dem Anstarren der Schachteln eine wohlige Gänsehaut bekommen hatte.
    Alles hatte ich in den letzten beiden Tagen in Gedanken schon einmal durchgespielt und als unpassend befunden: Das meiste schied schon deshalb aus, weil dafür gewisse logistische und technische Voraussetzungen erforderlich waren – und die fehlten mir. Die Sache mit den Pulsadern kam nicht infrage, weil ich kein Blut sehen konnte und die Pulsadern für Anfänger auch gar nicht so einfach zu finden sind.
    Aber das mit den Schlaftabletten würde ich hinkriegen. Das würde ein Kinderspiel werden.

Liebe Mama!
    Vielen Dank für die hervorragend sortierte Schlaftablettensammlung, du hast mir damit wirklich viel lästige und möglicherweise illegale Arbeit erspart.
    Natürlich hast du völlig Recht: Man muss nicht immer alles mit Medikamenten regeln. Aber es wäre doch zu schade, sie verkommen zu lassen. Es ist auch genau die richtige Portion für einen allein.
    Nein, Scherz beiseite: Ich entschuldige mich hiermit für den Ärger, den ich dir mit den Tabletten bereite, aber bevor du deswegen sauer wirst, denk bitte auch an die vielen künftigen Enttäuschungen, die ich dir auf diese Weise erspare.
    Es tut mir ja auch ehrlich leid, dass ich dich bis jetzt immer nur enttäuscht habe. Schon bei meiner Geburt, als du merktest, dass ich kein Gerd, sondern eine Gerda war. Und dann, weil ich brünett statt blond war. Aber glaub mir, ich habe mindestens so sehr wie du darunter gelitten, dass Tante Alexa nur blonde Blumenmädchen bei ihrer Hochzeit wollte und dass alle meine Schwestern und Cousinen Blumen streuen durften, nur ich nicht. Ich habe die ganze Feier praktisch unter dem Tisch verbracht. Gut, vielleicht hätte ich die Schnürsenkel von Opa Rodenkirchen nicht an Waldis Halsband festknoten sollen, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass ein kleiner Dackel solch eine Zugkraft hat und Opa Rodenkirchen die Tischdecken samt Torten und Oma Rodenkirchens Meißner Porzellan herunterreißen würde.
    Ich entschuldige mich auch dafür, dass ich mich geweigert habe, mit Klaus Köhler auf den Abschlussball zu gehen, obwohl er der Sohn deiner lieben Freundin Annemarie ist und du mir versichert hast, dass Pickel, Schweißgeruch und großkotziges Gehabe ganz normale Pubertätserscheinungen seien, die von allein wieder weggingen. Bis heute vergeht ja kaum ein Tag, an dem dumir nicht sagst, was für ein erfolgreicher, gut aussehender Mann aus Klaus geworden ist und wie glücklich Hanna Koslowski sich schätzen darf, dass sie damals an meiner Stelle mit ihm zum Abschlussball gegangen ist.
    Glaub mir, es hat tatsächlich schon Tage gegeben, an denen ich meine Weigerung selber bereut habe. Aber ich konnte doch mit fünfzehn nicht ahnen, dass ich mit dreißig mal froh wäre, jemanden wie Klaus abzukriegen. Denn dann hätte ich ganz sicher damals schon angefangen, Schlaftabletten zu sammeln.
    Deine Gerri
    P. S. Auch wenn ich nicht Lehrerin geworden bin, gibt es keinen Grund, Freunden und Verwandten zu verschweigen, womit ich mein Geld verdiene. Ich habe daher gerade vierzehn Mal »Nachtschwester Claudia unter Verdacht« zusammen mit einem
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