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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem
Autoren: Kerstin Gier
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Seinen Rotkohl-Kartoffelbrei rührte er nicht mehr an. Aber Tine tauschte wie immer am Schluss den leer gegessenen Teller von Frank mit den Tellern der Kinder, und Frank aß ohne mit der Wimper zu zucken alle Reste auf, auch die, die schon mal gekaut worden waren. Einmal im letzten Jahr hatte Arsenius fürchterlich zu schreien angefangen, weil Frank bei dieser Aktion einen Milchzahn mitgegessen hatte, den Arsenius verloren und auf den Tellerrand gelegt hatte. Mir wurde heute noch schlecht, wenn ich daran dachte.
    Die Diskussion um Kindererziehung war verebbt.
    »Ist doch wahr«, sagte Tine nur noch. »Haben selber keine Kinder, aber wollen ständig an meinen herumerziehen!«
    Ich goss Chisola und mir Apfelsaft ein.
    »Danke«, flüsterte Chisola.
    »Oma, die Gerri trinkt uns den ganzen Saft weg«, schrie Habakuk.
    »Opa holt neuen Saft aus dem Keller«, sagte meine Mutter, bedachte mich aber mit einem bösen Blick. Mein Vater stand auf und verschwand im Keller.
    Als er mit dem Apfelsaft wiederkam, reichte er mir einen Briefumschlag. »Post für dich, Gerri«, sagte er und streichelte dabei leicht über meine Wange. »Du siehst heute irgendwie blass aus.«
    »Weil sie nie an der frischen Luft ist«, sagte meine Mutter sofort.
    »Seit wann bekommt denn ihr meine Post?«, fragte ich. Und geöffnet war der Umschlag zuvorkommenderweise auch schon. Ich sah auf den Absender. »K. Köhler-Koslowski. Kenne ich nicht.«
    »Natürlich kennst du den Klaus!«, sagte meine Mutter ärgerlich. »Klaus Köhler. Er möchte dich zum Klassentreffen einladen.«
    »Hat der tatsächlich einen Doppelnamen?«
    »Das machen moderne Männer eben so«, sagte meine Mutter.
    »Aber doch nicht, wenn die Frau Kotzlöffel heißt«, sagte ich.
    Arsenius und Habakuk spuckten vor Lachen ihren Apfelsaft auf die Tischdecke.
    »Wenn du damals mit ihm zum Abschlussball gegangen wärst, dann hieß der Klaus jetzt Köhler-Thaler«, sagte meine Mutter versonnen. Das war eine ihrer Lieblingsfantasien.
    »Nein, ich wette, der wollte bloß drei K als Initialen«, sagte Tine. »Was macht er beruflich? Königlich-Kaiserlicher Küchenchef?«
    »Korinthen kackender Kraftfahrer«, schlug ich vor. »Das würde passen.«
    Die Zwillinge krähten begeistert und steuerten »Komischer Kröten-Kotzer« und »Kleiner Kacke-Kanalreiniger« bei.
    »Der Klaus hat einen ganz tollen Posten«, sagte meine Mutter. »Das habe ich euch doch schon oft erzählt. Verdient sich dumm und dämlich. Die Hanna muss nicht arbeiten gehen, die kann zu Hausebleiben und sich um die Kinder kümmern. Die Annemarie ist sehr glücklich mit ihrer Schwiegertochter und den Enkelchen.«
    Hanna Koslowski, genannt Kotzlöffel, war auch in unserer Stufe gewesen. Aus Motiven, die mir wohl für immer und ewig unerklärlich bleiben würden, hatte sie nicht nur mit Klaus getanzt, sondern sich auch mit ihm fortgepflanzt.
    »Und – gehst du zum Klassentreffen?«, fragte Lulu.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Mal schauen.« In Wirklichkeit war ich fest entschlossen, auf keinen Fall dort aufzutauchen, es sei denn als Amokläufer. Ich wusste schon seit ein paar Wochen, dass das Klassentreffen stattfinden sollte, weil meine Freundin Charly eine E-Mail von Britt Emke an mich weitergeleitet hatte. Hallo, liebe ehemalige Mitstreiter! Wie ihr vielleicht wisst, ist es bereits im letzten Jahr zehn Jahre her gewesen, dass wir unser Abitur gemacht haben. Nun haben Klaus Köhler (LK Mathe/Physik) und ich (LK Erziehungswissenschaften/Biologie) als ehemalige Stufensprecher überlegt, dass es doch nett wäre, wenn wir uns zum Elfjährigen alle einmal wiedersehen und über unseren bisherigen Werdegang und alte Zeiten klönen könnten …
    Was denn, mit Britt Emke über alte Zeiten klönen? Weißt du noch, Britt, wie du dich damals im Geschichtsunterricht gemeldet hast? »Herr Müller, wenn Sie der Gerri eine Drei geben, dann ist das aber der Kathrin gegenüber nicht fair. Die Gerri hat doch kaum was gesagt in diesem Halbjahr, und sie hat auch nie was mitgeschrieben, sondern immer nur von der Charlotte die Chemie-Hausaufgaben abgeschrieben oder Schiffe versenken gespielt.«
    Ihren »Werdegang« hatte Petze Britt auch schon kurz umrissen, nur für den Fall, dass es jemanden interessierte. »Nach meinem Sozialpädagogik-Studium habe ich ein Jahr lang mit behinderten Kindern gearbeitet, bevor ich mit meinem Mann, Ferdinand Freiherr von Falkenhain, auf einen großen Gutshof in Niedersachsen zog. Unsere Tochter Luise geht bereits in
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