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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem
Autoren: Kerstin Gier
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lernen« die Hand schüttelte. Obwohl ich eigentlich ein gutes Gedächtnis für Menschen und ihre Gesichter habe, war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich irren musste. Patrick sah hammerhart31 einfach nur zum Verwechseln ähnlich. Bis auf das kleine, spitze Ziegenbärtchen sah er gut aus, und – im Gegensatz zu hammerhart31 – wirkte er einigermaßen normal. Allerdings machte er ein ziemliches Geheimnis um seinen Job.
    »Was machen Sie beruflich?«, hatte mein Vater gefragt, und Patrick hatte lässig geantwortet: »IT.«
    Er war jetzt das dritte Mal zu Gast bei meinen Eltern, und sie trauten sich auch diesmal nicht zu fragen, was »IT« denn für ein Beruf war. Ich hatte aber wohl mitbekommen, wie meine Mutter Lulu vorhin beiseite genommen hatte.
    »Was genau macht der Patrick noch mal beruflich, Schätzchen?«
    Und Lulu hatte geantwortet: »IT, Mama, das hat er doch das letzte Mal schon gesagt.«
    Jetzt war meine Mutter so klug wie zuvor. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihren Freundinnen erzählte, dass der neue Freund meiner Schwester »ein ganz Netter« sei und als »Eiti« viel Geld verdiente. Und dass es diesmal hoffentlich was Ernstes war.
    Es war schwer zu raten, was Patrick von uns dachte. Er hatte einen ziemlich neutralen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
    »Patrick wird schon wissen, dass Jungs manchmal ein bisschen wild sind«, sagte Tine. »Er war schließlich selber mal so ein kleiner Racker.«
    »Bevor er IT wurde«, sagte ich.
    »Aber ein gut erzogener kleiner Racker«, sagte meine Schwester Lulu und tätschelte Patricks Arm.
    »Allerdings«, sagte Patrick. »Mein Vater hat großen Wert auf Tischmanieren gelegt.«
    »Willst du damit andeuten, unsere Kinder wären nicht gut erzogen?«, fragte Tine und tauschte einen erbosten Blick mit Frank, ihrem Mann.
    »Kann ich noch was Apfelsaft?«, fragte Arsenius.
    »Haben«, ergänzte meine Mutter. »Es heißt: Kann ich noch was Apfelsaft haben .«
    »Und bitte «, sagte ich. »Kann ich bitte auch was Apfelsaft haben?«
    »Ich will jetzt Apfelsaft!«, sagte Arsenius. »Um den fiesen Geschmack runterzuspülen.«
    »Ich will bitte auch Saft haben«, flüsterte Chisola.
    »Gar nicht erzogen wäre wohl treffender«, sagte Lulu.
    »Krieg du erst mal selber Kinder, dann kannst du vielleicht mitreden«, sagte Tine.
    »Ich bin promovierte Pädagogin«, sagte Lulu. »Seit über sechs Jahren arbeite ich mit Kindern. Ich denke, zum Thema Erziehung kann ich durchaus jetzt schon mitreden.«
    »Mädels!« Meine Mutter goss Arsenius und Habakuk Apfelsaft ein und stellte die Flasche wieder auf das Sideboard. »Nicht jeden Sonntag das gleiche Thema. Was soll denn der Patrick von uns denken?«
    Patrick hatte immer noch diesen neutralen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Er kaute an einem Stück Schweinebraten, während sein Blick auf dem lebensgroßen Porzellanleoparden ruhte, der auf der extra tiefen Marmorfensterbank zwischen Yuccapalmen in gold-weißen Übertöpfen stand. Eingerahmt wurde dieses Ensemble von glänzendengold-weiß gemusterten Vorhangschals, die von zwei adipösen Engelchen zur Seite gerafft wurden. Wenn Patrick überhaupt etwas dachte, dann wohl: »Das ist die geschmackloseste Esszimmereinrichtung, die mir jemals untergekommen ist.«
    Und damit hatte er sicher Recht.
    Überall im Raum waren die Vorlieben meiner Mutter für dicke Engelchen und die Farben Weiß und Gold zu erkennen. Und für Leoparden. Diese Raubkatzen hatten es meiner Mutter ganz besonders angetan. Ihr Lieblingsstück war eine Stehlampe, deren Fuß die Gestalt eines Leoparden aufzuweisen hatte.
    »Sieht er nicht aus wie echt?«, pflegte sie zu fragen, und sie hatte Recht: Wenn der Leopard keinen gold-weißen Lampenschirm auf den Kopf geschraubt gehabt hätte, wäre man durchaus geneigt gewesen, ihn für echt zu halten, denn er hatte ein richtiges Fell und Schnurrhaare.
    Unsere Familie traf sich jeden Sonntag in diesem Raubtierkäfig zum Mittagessen. Nur Rika, meine zweitälteste Schwester, war nicht dabei, sie lebte mit Mann und Tochter in Venezuela. Selbst meine Mutter, die in Geografie eine absolute Niete war, hatte mittlerweile begriffen, dass man von Venezuela nicht mal eben zum Mittagessen zu den Eltern nach Köln-Dellbrück kommen konnte.
    »Das Venezuela in Südamerika«, erklärte sie Bekannten gelegentlich. »Nicht das in Italien.«
    Wie gesagt, in Geografie war sie eine absolute Niete. Aber ihr Schweinebraten war exzellent. Ich aß drei Scheiben davon, Habakuk sogar vier.
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