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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig
Autoren: Dietmar Dath
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Romane mit viel Personal gelesen, sondern lieber kurze Aufsätze, Gedichte von Stefan George oder Brecht und philosophische Büchlein von vietnamesischen Intellektuellen, die in der DDR lebten. Sie zog Aphorismensammlungen jederzeit dicken Studien vor, mochte Insekten gern, aber hatte was gegen Pferde, und war sofort von CD s begeistert, als die aufkamen, weil sie das feine Gegenteil der angeberischen Vinylplatten waren, die alle Mitglieder der unsympathischen Großfamilie ordinary fuckin’ people einander in der Schule vorführten, ausliehen, herumtrugen, in diesen protzigen Plattensammler-Knisterplastiktüten, nein danke.
    Das kleine, das nahe Zeug, die Details: In ihrem Beruf kam ihr das Interesse daran natürlich sehr zugute. Mit dem kleinen, nahen Zeug aber fing auch der große, bald globale Ärger an, zu dem sich der Umzug nach Freiburg schließlich auswachsen sollte; damit nämlich, daß Beate just im Kleinsten plötzlich lauter Fehler machte.
    Vielleicht lag das daran, daß durch die Verflechtung ihres Lebens mit dem des Freddy Schörs etwas angefangen hatte, dem man besser mit Weitsicht begegnete als mit der Lupe, und sie das zwar spürte, aber nicht riskieren wollte. Jedenfalls traten am Tag ihrer Reise vom alten zum neuen Wohnort fünf eher kleine, unscheinbare Mißgeschicke in Konjunktion und entfachten gemeinsam schweres Unheil.
    Instrumente der Geschichte waren fünf alberne Winzgegenstände: ein Päckchen mit vier Walkmanbatterien, ein Paar orange Ohrstöpsel, ein Kühlschrankmagnet, eine EC -Karte und ein Schlüsselbund.
    Die Walkmanbatterien – Philips Powerlife XXL Ultra Alkaline LR & AA / AM 3, Mignon, eine typische Photoladen- und ­Bahn­hofs­kiosk­mar­ke – hatte sie vor der Abreise zu kaufen vergessen, obwohl sie das bei Fernreisen sonst immer auf dem Plan hatte. Der Discman und die CD s, die sie mitgenommen hatte, um die sechseinhalb Stunden Fahrt zu verkürzen und das Geplärr der Babys und das Gequatsche der Bewußtlosen an Bord nicht hören zu müssen, waren ohne Batterien unbrauchbar: der erste Fehler.
    Die mandarinenschalenfarbenen Ohrstöpsel von Jill Miró Earwear (»exzellente Schalldämmung aus Weichschaum«) steckte sie sich also – der zweite Fehler – bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Zoologischer Garten sofort in die Gehörgänge, um zwar mangels Musik von CD s keine kurzweilige, aber doch eine leidlich ruhige Fahrt zu erleben. Den flachen Kühlschrankmagneten, ein kitschig-lustiges Herzchenmotiv aus dem Souvenirshop Friedrichstraße, unweit ihrer alten Wohnung, wo Freddy sechs- bis achtmal im Jahr Gast gewesen war, hatte sie – der dritte Fehler – in ihren Geldbeutel gesteckt, der während der Fahrt sicher in der Innentasche ihres weiten Mantels verstaut war. Sie wollte Freddy mit dem blöden Ding überraschen; er hatte nämlich, ganz wie Bea selber, eine große Schwäche für solchen Quatsch.
    Die EC -Karte steckte jedoch – der vierte Fehler – ebenfalls im Geldbeutel, nämlich im vordersten der vier für dergleichen vorgesehenen Fächer und damit leider sehr nah an dem flachen Magnetspielzeug.
    Der Schlüsselbund schließlich, unter anderem mit Haus- und Woh nungsschlüssel zum neuen Freiburger Apartment, den Freddy ihr, »symbolisch«, in einem kleinen Päckchen zwei Tage vorher nach Berlin geschickt hatte, klirrte und klimperte, von Beate ohrstöpselhalber gänzlich unbemerkt, seit Berlin in der rechten Hosentasche ihrer weitgeschnittenen Hose; da hätte sie – der fünfte Fehler – sie besser nicht hingetan.
    Auf der schier endlosen Reise las Bea die aktuelle, zuverlässig öde Ausgabe der ZEIT , eine schmale Biographie John F. Kennedys und fast alle in der einbändigen Fischer-Taschenbuch-Gesamtausgabe enthaltenen Gedichte von Gottfried Benn. Kurz vor Mannheim schlief sie ein.
    Weil aber die Schaumstoffschalldämpfer in den Ohren längst zu maximalem Stopf-Volumen aufgequollen waren, hörte sie die Ansage der Einfahrt in den Freiburger Hauptbahnhof nicht und bekam nur durch Zufall, da ihr gerade die Glieder wehtaten, sie ihre Sitzlage in ihrem engen Großraumwagendoppelplatzwinkelchen deshalb veränderte und dabei aufwachte, beim verklebten Blinzelblick aus dem Fenster überhaupt mit, daß sie angekommen war.
    Erschrocken arbeitete sie sich, schwankend und fluchend, in die Senkrechte hoch, griff ihr nicht besonders schweres Handgepäck von der Ablage über den Sitzen und zwängte sich vorbei an schwach protestierenden Leuten, die gerade einstiegen, aus dem
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