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Die letzte Schlacht

Titel: Die letzte Schlacht
Autoren: James Barclay
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    859. Zyklus Gottes,
    37. Tag des Genasauf
     
    P aul Jhered ließ seinen Blick vom linken zum rechten Ufer wandern und fragte sich, ob der Sturm schon über dem Hafen von Kirriev wüten würde, wenn ihr Schiff dort eintraf. Er hatte keine Ahnung, was sie dort erwartete. Eigentlich sollte die Falkenpfeil an der Anlegestelle der Einnehmer warten, doch das war alles andere als sicher. Die Menschen strömten zum Hafen, wie sie es vermutlich überall an der gesternischen Westküste taten, und suchten nach einer Fluchtmöglichkeit vor den Toten, die ungehindert durch ihr Land marschierten.
    Wenigstens kamen sie mit ihrem kleinen Schiff rasch voran. Obwohl ihr immer wieder übel wurde, hatte Mirron es geschafft, einen kräftigen Rückenwind zu entfesseln, der den sechzig Ruderern eine Verschnaufpause verschafft und sie alle rasch an den unzähligen Schiffen vorbeigetragen hatte, die den Fluss Tokarok blockierten.
    Alle Warnungen, die er ins südliche Skiona und zur Marschallverteidigerin Katrin Mardov hätte schicken können, wären zu spät gekommen. Unterstützt von Gorians grässlichen Kräften hatten die tsardonischen Invasoren dieses schöne Land überrannt, und nun flohen die Einwohner und versuchten, irgendwo einen Platz zu finden, an dem sie ausharren und kämpfen konnten. Jhered biss sich auf die Lippen, als er an Mardov dachte. Vielleicht war sie sogar unter den Flüchtlingen, die um ihr Leben rannten, doch er bezweifelte es. Sie war zu mutig, um sich umzudrehen und zu fliehen. So musste er wohl der traurigen Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie viel eher in der Armee der Toten hinter den Gesterniern marschierte.
    Fast musste er die perverse Genialität bewundern, die der Invasion zugrunde lag. Auf den ersten Etappen ihrer Reise von Ceskas hatten sie marschierende Tote gesehen, die keine Soldaten waren. Das war auch nicht nötig, denn ihre stärkste Waffe war die Furcht. Die Toten mussten nur drohend irgendeine Waffe heben, damit die Lebenden flohen.
    Es tat weh, das schöne Land derart misshandelt zu sehen. Stolz wie immer erhoben sich die Berge, und das Wachstum des Genasauf brach sich Bahn, wo die Toten nicht marschierten, doch die Schönheit war durch Rauch und Flammen besudelt. Überall brannte das Land, der Himmel bekam schwarze Flecken, Gebäude zerfielen, der Gestank von Asche stieg auf. Ganz Gestern war in Panik, denn inzwischen hatte sich die schreckliche Gewissheit ausgebreitet, dass die Gerüchte keineswegs übertrieben gewesen waren.
    Der Wind, der die Segel gebläht hatte, schlief ein. Hinter Jhered gab der Kapitän des Handelsschiffs, das sie für die Flussfahrt nach Ceskas und zurück gemietet hatten, den Ruderern den Befehl, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Sie tauchten die Stangen ein, und das Boot beschleunigte. Mirron gesellte sich zu Jhered an der Backbordreling. Sie war bleich und müde, und offenbar war ihr immer noch übel. Nicht nur die Seekrankheit setzte ihr zu. Sie spürte das Böse in der Erde und in der Luft. Was Gorian tat, wo immer er sich jetzt auch aufhielt, es raubte ihr die Kraft.
    So standen sie beisammen und blickten nach vorn. Der Hafen von Kirriev war nahe, höchstens noch eine Stunde entfernt. Boote in allen Bauarten und Größen drängten sich auf dem Fluss. Harkov hatte bereits die Garde des Aufstiegs und die Einnehmer auf Deck antreten lassen. Vorsichtshalber hielten sie ihre Bogen bereit.
    »Ihr dürft niemanden verletzen«, sagte Mirron.
    »Wenn es möglich ist. Aber was wir wissen, und was Ihr in Euch tragt, dürfen wir nicht aus Schwäche und falsch verstandenem Mitgefühl opfern. Nicht heute. Ihr müsst wohlbehalten nach Estorr zurückkehren. Ich werde die Männer kämpfen lassen, wenn es sein muss, aber ich bete, dass es nicht so weit kommt.«
    Jhered streichelte mit einem Finger ihr Kinn. Sie versuchte zu lächeln.
    »Was werden wir wohl im Hafen von Kirriev vorfinden?«, fragte sie.
    »Panik und Chaos, würde ich meinen«, erwiderte Jhered. »Mach dich darauf gefasst, dass es nicht schön wird.«
    »Was meinst du damit?«
    »Wenn es um ihr Leben geht, vergessen die Menschen ihre besten Freunde.«
    Mirron beugte sich zu ihm. »Werden wir es schaffen?«
    »Wir müssen.« Jhered zuckte mit den Achseln.
    Mit jedem Ruderschlag vertieften sich Jhereds Sorgen. Der Strom der Flüchtlinge war unüberschaubar, es waren Tausende, die nur wenige Besitztümer mitgenommen hatten. Einige schoben überladene Karren, und alle wollten zur Küste und suchten ein Boot, um das
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